Peehs Liebe
half auch der Perseus nicht. Seine Kunden waren nach wie vor fast ausschlieÃlich Frauen, die er gegen Frigidität behandelte. Er hatte die fixe Idee, ich müsste sein Geschäft später einmal übernehmen. Deshalb versuchte er mir beizubringen, wie man mit dem Perseus umging, erklärte mir, mit den Fingerspitzen müsse ich die Halsschlagader der Frauen zart beklopfen, um so die erweiterte Fläche der Halsar-teriedes Karotissinus zu ertasten. Wenn ich den zarten Pulsschlag der Karotisdrüse wahrnähme, müsste ich für zwei Sekunden, auf keinen Fall länger, die Elektrode sanft mit schwächster Stromstärke einsetzen. Dann hätte ich mich dem Schambeinhöcker, der die weibliche Sexualität aktivierte, zu widmen. Ich müsste die Elektrode für sechzig Sekunden mit Halbstrom ansetzen, erst auf der linken, dann auf der rechten Seite.
Wir übernachteten in kleinen Hotels, in denen Vincentini abends an der Theke sitzend vom Perseus schwärmte und seine Kriegserlebnisse zum Besten gab.
Eines Abends, wir waren gerade unterwegs, brannte das Haus ab, in dem seine Geräte lagerten. Als wir nach einer rasanten Fahrt über die Dörfer dort ankamen, war das Lager bis auf die Grundmauern vernichtet. Alle Perseusgeräte waren den Flammen zum Opfer gefallen. Vincentini wankte durch das eingestürzte Gemäuer, suchte unter den Steinen nach Einzelteilen, jammerte, sein Lebenswerk sei nun zerstört. Er sammelte verkokelte Bruchstücke des Perseus auf, klagte während der ganzen Rückfahrt, er sei nun ein ruinierter Mann, der nur noch einen einzigen Perseus besitze. Er beschuldigte die WeiÃkittel der Brandstiftung. Abends im Hotelzimmer versuchte er, den Perseus nachzubauen.
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Wenn Annie mit Azzurro ausritt, kam sie an den Streuobstwiesen vorbei. Im Sattel sitzend pflückte sie Berlepsch-Ãpfel für Rosarius. Sie galoppierte mit Azzurro durch eine andere, ihr bisher unbekannte Welt, in der sich die Farben im Wechsel des Herbstlichts spiegelten.
Rosarius schlief, als Annie nachts ins Zimmer kam. Sie schälte ihm einen Apfel, schnitt hauchdünne Scheiben ab. Sie berührte seine Lippen mit der Frucht, er öffnete den Mund und saugte den Saft heraus. AnschlieÃend las sie Rosarius aus dem «Hyperion» vor, zog mit ihm durch die Vergangenheit, wie Ãhrenleser einst über abgeerntete Stoppelfelder gegangen waren.
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A n den Wochenenden fuhr ich mit Karl Höger zu den Fischteichen. Wir standen morgens um fünf auf, parkten den Laster am Schotterplatz bei den Windrädern und liefen zum Wasser hinunter, wo wir den ganzen Tag am Teichufer saÃen und angelten. Ingrid, Högers Frau, kam mittags mit den Kindern. Sie nahm die gefangenen Forellen und Barsche aus und briet sie über dem Lagerfeuer. Ingrid war gerade mal so groà wie ein Besenstiel. Sie hatte eine dicke Warze am linken Nasenflügel. Höger redete von seinen Weltreisen. Ingrid war nicht begeistert von seinen Geschichten, sie wollte nicht, dass er noch einmal auf Auslandstour ging.
Im Sommer 1990 fuhr Höger doch wieder ins Ausland. Ich war zweiundfünfzig Jahre alt, als mich kein Lastwagenfahrer mehr mitnahm, weil ich ihnen unheimlich geworden war und sie mein Gerede von Peeh nicht ertrugen. Ich besaà seit Kurzem einen jungen Schäferhundmischling, den jemand am Fahrradunterstand des Supermarktes angebunden hatte. Als er abends noch dort gesessen hatte, nahm ich ihn mit. Der junge Hund erinnerte mich an meinen früheren Hund Socke, also nannte ich ihn auch wieder Socke. Ich spazierte viel mit dem Hund herum, manchmal tagelang. Wir gingen von unserer Wohnung über die StraÃe zu den Sandsteinfelsen und zu Kathys Baum. Peeh saà leibhaftig auf der Broog-Bank und wartete auf mich. Ich konnte sie berühren und ihr in die schönen, traurigen Augen sehen. Manchmal saÃen wir den ganzen Nachmittag bis zum Abend zusammen. Wir blickten zur Urftaue hinunter.Socke streifte durch das Gebüsch und stöberte Hasen auf. Ich erzählte Peeh von meinem Vater, dem Archäologen, was ich alles über ihn gelesen und erfahren hatte. Wir blickten über Kall hinweg zum FuÃballplatz, zur Grund- und Hauptschule mit der Bibliothek, wo Kathy früher geputzt hatte. Wir gingen über die Sandsteinfelsen bis nach Mauel. Bei schönem Wetter saà ich drauÃen vor dem Supermarkt unter der Markise. Ich dachte immer an Peeh, jeden Tag, jede Sekunde. Ich
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