Peehs Liebe
ihren Erzählungen, fragte mich, ob es jemanden wie Peeh nochmals für mich geben könnte. Evros schrieb mir alle paar Monate und schwärmte von seiner Insel, ich müsse ihn unbedingt besuchen, ich könne so lange bleiben, wie ich wollte. Er brauche jemanden wie mich, der ihm zur Hand gehe. Dem Brief hatte er Fotografien beigelegt, die eine schöne, kleine Pension am Meer zeigten. Aber Evros kannte mich und wusste, dass ich Kall nicht mehr verlassen würde. 1980 schrieb er mir, Peeh sei bei ihm in der Pension gewesen. Ich hatte lange nichts mehr von ihr gehört. Sie war nicht einmal zur Beerdigung ihrer Mutter nach Kall gekommen, mit der sie sich nie gut verstanden hatte. Peeh hatte eine Woche mit ihren Kindern und ihrem Mann in der Pension von Evros gewohnt. Auf seiner Insel am Strand war das Foto mit ihrenKindern entstanden. Peeh hatte Evros gebeten, mir GrüÃe auszurichten und mir die Fotografie von ihr und den Kindern zu schicken. Ich betrachtete sie immer wieder. Peeh spielte auf dem Bild mit ihrem Sohn Paul am Strand. Ihr Mann stand daneben und hielt ein kleines Mädchen auf dem Arm. Evros wusste nicht, wo Peeh zu Hause war. Vielleicht hatte sie kein Zuhause, und reiste nur in der Welt herum.
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Annie lief mit Bellarmin, der sie diesmal mitgenommen hatte, durch die Felder zu den Bleisandhalden des alten Bergwerks. Sie zwängten sich durch eine Lücke im Zaun, kletterten die Halden hinauf. Kieselsand rutschte unter Annies Sohlen weg. Sie hatte plötzlich keinen festen Tritt mehr, stolperte, drohte, den Halt zu verlieren, fürchtete abzustürzen. Bellarmin kam ihr einige Schritte entgegen und reichte ihr seine Hand. Oben lag eine karge Landschaft vor ihnen, ein Brackwassersee, vom Wind gebeugte Zirbelkiefern, Heidekraut, tiefe Mulden und Löcher, die entstanden waren, als Sand in die Stollen und Hohlräume eingesackt war. Ãberall waren Schilder, auf denen stand, das Betreten des Bergwerksgebietes sei lebensgefährlich und daher verboten. Bellarmin bat Annie, dicht hinter ihm zu gehen. Sie folgte ihm bis zu einem schroffen Abhang, unter dem sich das Land wie ein Meer erstreckte. Sie hockten auf dem Geröll und blickten weit über die Ebene hinweg. Windräder drehten sich auf den Anhöhen. Annie suchte nach Azzurro, der auf einer Weide bei den Windrädern stehen musste. Sie ging immer noch möglichst oft zu ihm, ritt mit ihm aus und flüsterte ihm, wenn sie über die Felder galoppierte, ins Ohr, dass sie ihn kaufen und er ihr dann allein gehören würde.
Annie wartete mit Bellarmin auf den Einbruch der Dämmerung. Bellarmin hatte gelacht, als sie ihn so nannte, aber es gefiel ihm. Sie redeten über den Archäologen,über Strohwangs Schatz und Rosariusâ Liebe zu Peeh. Sie sagte, sie wolle alles aufschreiben, was Rosarius berichtete. Bellarmin bestärkte sie in ihrem Vorhaben. In der Dunkelheit schwirrten Ziegenmelker umher, Annie sah ihre weiÃe Flügelbinde. Weit entfernt entdeckte sie eine am Horizont vorbeiziehende Gewitterlinie.
Sie schlief neben Bellarmin ein, erwachte, als ein Käfer über ihre Wange krabbelte. Trotz der Decke, die Bellarmin über sie gelegt hatte, fror sie. Als er sie in den Arm nahm, sie mit seinem Körper wärmte, schlief sie bald wieder ein.
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I n der Zeit, in der Evros in Griechenland lebte, hatte ich nichts anderes zu tun als mit Vincentini in der Eifel umherzufahren. Er erzählte immer wieder von den Gräueltaten in Warschau und der Flucht vor den Russen, davon, wie er mit seinen Kameraden vor den Panzern auf einen zugefrorenen See geflohen war, wie sie dort die ganze Nacht auf dem knackenden Eis gekauert hatten, über ihnen der von der Leuchtmunition der Russen erhellte Himmel. «Solange wir uns nicht bewegten, konnten sie uns nicht sehen», sagte Vincentini. Er hatte mit ansehen müssen, wie Kameraden lautlos im See versanken. Er war über das dünne Eis gekrochen, hatte im Morgengrauen eine Lücke zwischen den russischen Stellungen gefunden, war durch einen Wald gelaufen, bis er erschöpft in einen StraÃengraben gefallen und dort liegen geblieben war. Fast erfroren hatte ein polnischer Bauer ihn gefunden und zu seinem Hof gebracht. Dort versteckte man ihn in der Scheune vor den Russen und die Familie pflegte ihn gesund.
Vincentini verkaufte weniger Geräte als früher, die meisten Leute, die er einst behandelt hatte, waren gestorben, denn gegen den Tod
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