Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
Leib und Leben.“
„Schon gut, ich werde sehen, was sich machen lässt. Bleiben Sie vor Ort, bis Sie wieder von mir hören.“
Hustend erhob sich Pfister und ging in den Korridor hinaus, um Ausschau zu halten nach einem Opfer, aber da war nur gähnende Leere. Er fluchte halblaut vor sich hin, dann wählte er die Handynummer von Baumgarten. „Hallo Chef. Die Döttinger Kollegen haben in Beznau eine Wasserleiche gefunden, jemand von uns müsste hinfahren und sie sich anschauen. Ich fühle mich ziemlich krank und würde ehrlich gesagt lieber etwas früher Feierabend ... Also gut, wenn es unbedingt sein muss. Nachher fahre ich aber direkt nach Hause, sonst bricht die Grippe richtig aus. Ich informiere dich dann morgen, ciao.“
Er brauchte beinahe eine Stunde bis zum Kraftwerk – schlechtes Wetter, viel Verkehr, eine Baustelle in Würenlingen. Ausser Küng waren noch sein Streifenkollege und der Arzt am Fundort, die Leiche lag bereits im offenen Sarg. Den Anblick des aufgedunsenen Körpers hätte sich Pfister gerne erspart.
„Wer hat sie gefunden?“ fragte er mit heiserer Stimme.
„Ein Angestellter des Kraftwerks, bei der täglichen Kontrolle des Rechens. Das passiert etwa drei Mal pro Jahr, und er ruft uns jeweils sofort an. Er hat nichts Ungewöhnliches bemerkt – wollen Sie trotzdem noch mit ihm reden?“
„Nicht nötig. Wisst ihr, wer sie ist?“
„Keine Ahnung, wir haben weder Ausweise noch sonstige Papiere gefunden.“
„Mist. Kann man sonst etwas sagen, Kollegen?“
„Sie ist vermutlich über 50, die Kleider waren elegant und teuer, bevor sie nass wurden. Sie trägt einen Ehering und kleine Diamantstecker in den Ohren. Die Identifikation ist nur eine Frage der Zeit und der Effizienz bei euch in Aarau“, sagte Küng mit einem ironischen Unterton.
Pfister schnaubte, enthielt sich aber eines Kommentars. „Seit wann ist sie tot, Doktor?“
„Schwierig zu sagen, aber mindestens zwei Tage“, antwortete der Arzt und beendete seine Untersuchung. „Sie scheint bei erster Betrachtung keine äusseren Verletzungen zu haben, aber das werde ich noch genauer überprüfen. Ich sage Ihnen Bescheid, sobald ich mehr weiss. Und jetzt zu den Lebenden“, schmunzelte der Arzt und stand auf. „Für heute Abend, Herr Pfister, gebe ich Ihnen zwei Wunderpillen, die Sie mit einem heissen Tee einnehmen. Dann legen Sie sich ins Bett, und morgen sind Sie ein neuer Mensch, das garantiere ich Ihnen. Tschüss!“
Pfister bedankte sich, obwohl er nicht so recht an die Wirkung der Tabletten glaubte. Er bat die beiden Regionalpolizisten, die Beschreibung der Toten nach Aarau durchzugeben und sie mit der Vermisstenliste vergleichen zu lassen. Die Tote konnte von irgendwoher kommen: Baden, Brugg oder sogar Bremgarten; Limmat, Aare oder Reuss konnten sie durchs Wasserschloss nach Beznau getragen haben. „Und überprüfen Sie, wo an den drei Flüssen Kraftwerke und Stauwehre sind“, sagte er zu Küng, „so können wir die Reichweite einschränken. Ich schaue mir die Resultate dann morgen an.“ Er verabschiedete sich und fuhr nach Hause, wo er – genau wie der Doktor gesagt hatte – eine halbe Stunde nach seinem Tee in einen tiefen, erholsamen Schlaf fiel.
Oktober 2007
Die Lebensumstände mögen sich noch so positiv verändern, aber man wird die Vergangenheit nie los, seufzte Viktoria vor sich hin und stieg weiter hinauf in den vierten Stock. Sie wohnte im Zürcher Kreis 4, in einem renovierten Altbau, der einem Berufskollegen gehörte. Da sie wusste, dass er neben seiner Privatpraxis für Sozialpsychiatrie auch noch einen schwungvollen Handel mit Immobilien betrieb, hatte sie ihn nach ihrer Rückkehr aus den USA angerufen. Zu dieser grosszügigen, relativ ruhig gelegenen Wohnung war sie nur durch Manfred gekommen, und der Mietzins war im Vergleich zu ähnlichen Objekten erst noch äusserst niedrig.
Ein Whisky mit Manfred wäre jetzt genau das Richtige, dachte sie, stellte ihre Einkaufstasche vor ihrer Türe ab und und läutete im Dachgeschoss. Nichts regte sich, weder Fernseher noch Musik waren zu hören. Keiner zuhause, also bleibe ich allein mit meinen Erinnerungen heute Abend.
Sie packte ihre Einkäufe aus – Gemüse, Obst, Käse, frisches Brot – machte sich einen Teller mit Cheddar, Stangensellerie, getrockneten Tomaten zurecht, und leerte den Rest einer angebrochenen Flasche Rioja in ein Glas. Sie zündete die Kerze auf dem Küchentisch an und liess das Radio laufen, eine Mischung von Oldies, Pop und
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