Peetz, Monika
Thalberg.«
»Johannes
Thalberg findet nur sich selbst gut«, warnte Estelle, die Kikis Chef ein
paarmal live im Golfclub erlebt hatte. »Der ist so eitel, der hätte am liebsten
ein Gruppenbild von sich selbst.«
Ganz
unrecht hatte sie nicht. Aber das lag an Thalbergs Herkunft. Er war in einer
hessischen Kleinstadt aufgewachsen. Der Ort wurde dominiert von der ansässigen
Schuhfabrik. Alle Väter und Mütter arbeiteten dort. Nur die Thalbergs nicht.
Denen gehörte die Fabrik. Thalberg war mit Personal aufgewachsen und hatte von
Kindesbeinen gelernt, soziale Unterschiede zu betonen. Kikis Chef verkehrte in
anderen Kreisen, dort, wo altes Geld auf jungen Unternehmergeist traf In einer
Branche, in der jeder jeden duzte, bewahrte Thalberg Abstand zu seinen
Angestellten.
Der
Vasenauftrag war Kikis Chance, in die oberste Liga aufzusteigen und ihr Können
zu zeigen. Thalberg und der Presse, die über den Großauftrag von Ikea berichten
würde. Sie sah den Artikel bereits vor sich: »Göttliches Design«, stand da in
riesigen roten Lettern und darunter die Entstehungsgeschichte ihrer Entwürfe.
»Die Ideen entstanden während meiner Pilgerreise«, so ein Satz machte sich gut
in einem »Schöner Wohnen« Interview. »Ich bin nicht gläubig«,
würde sie einer beeindruckten Journalistin in die Feder diktieren, »aber meine
Pilgerreise nach Lourdes markiert den Wendepunkt in meiner Karriere.«
So ähnlich
würde das wohl klingen. Vorausgesetzt ihr fiel etwas ein, das die Überschrift
verdiente. »Göttliches Design«: Danach hielt sie Ausschau.
Der Sucher
ihrer Kamera fand ein leuchtend grünes Insekt. Es hing mit dem dreieckigen
Kopf nach unten an einer Pflanze und wartete darauf, dass sich ein
unvorsichtiges Beutetier näherte. Die Fangbeine hielt das Insekt angewinkelt
vor dem lang gestreckten Oberkörper.
»Eine
Gottesanbeterin«, erkannte Caroline. »Die sind selbst im Süden selten
geworden.« Kiki wunderte sich immer wieder, welches Wissen Caroline aus dem
Ärmel schüttelte.
Estelle
rollte die Augen: »Gottesanbeterin? Typisch Jakobsweg. Hier sind sogar die
Insekten katholisch.« Estelle hatte genug von der Landschaft. »Wir müssten
längst bei Arnes sagenhaftem Kloster sein«, empörte sie sich.
»Müssten
wir nicht«, stellte Caroline lapidar klar. »Wir laufen in die verkehrte
Richtung.«
Sie sagte
es so laut, dass Judith, die alleine an der Spitze voranschritt, es hören
musste.
14
Judith
schwitzte Blut und Wasser. Es lag nicht an der Sonne, die sich allmählich dem
höchsten Stand näherte, die Farben auswusch und das Arbeitsleben in dem
hügeligen Rebenmeer zum Erliegen brachte. Es lag nicht an dem, was sie sah und
fühlte. Was Judith beunruhigte, waren die Dinge, die sie nicht sah. Der
idyllische Bachlauf mit dem kühlen Trinkwasser, das marode Brückengeländer, an
dem Arne sich verletzt hatte, die altersschwache Bank im Schatten, eine vom
Blitz getroffene Pinie, aus deren Strunk neues Leben wuchs: Bislang hatte
Judith vergebens Ausschau gehalten nach all den Details, die Arne so blumig in
seinem Tagebuch festgehalten hatte.
»Du musst
genauer hinsehen«, beschwor sie sich selbst. Aber wie sollte sie die Eindrücke
aufnehmen, wenn die Kommentare in ihrem Rücken unaufhörlich dahinplätscherten?
»Wenn wir
das Kloster nicht finden«, sagte Estelle, »hätte ich ein paar Ideen. Meine
Assistentin hat im Internet alle Restaurants der Gegend zusammengesucht.«
Sie zog
ein paar Computerausdrucke aus ihrem Rucksack und zitierte schwelgerisch die
Speisekarte des nächstgelegenen Sternerestaurants. »Hirschpastete mit
Pistazien, marinierte Flusskrebse in Vermouth-Sauce. Keine zwanzig Kilometer
von hier. Wir könnten uns verwöhnen lassen.«
»Pilgern
muss wehtun. Sonst hilft es nicht«, belehrte Kiki ihre Freundin. »Am Ende des
Weges werden dir alle Sünden erlassen.«
Wenn es
etwas gab, das Estelle noch mehr interessierte als gutes Essen, waren das gute
Geschichten. Es lag ihr nicht, um den heißen Brei herumzureden. Dafür war das
Leben zu kurz. Besser war, gleich nachhaken: »Schon wieder eine
Männergeschichte aus dem Ruder gelaufen?«
Kiki
winkte ab: »Wenn wir nach Hause kommen, hat sich das Problem von selbst
erledigt.«
»Probleme,
die sich in Luft auflösen?«, kommentierte Caroline in fröhlichem Singsang. »An
so was glauben meine Kriminellen auch. Die Rechnung geht nie auf Aber was soll's:
Wenn sie nicht auf mich hören, müssen sie in die Irre laufen.«
Judith
verstand nur zu
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