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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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sie
sich vor fünf Jahren Hals über Kopf verliebt hatte. Trotz seines kitzelnden
Barts und seiner Vorliebe für karierte Flanellhemden.
    »Der sieht
aus, als würde er gleich zur Gitarre greifen und von Whiskey, Frauen und Pistolen
singen«, flüsterte Estelle überlaut den anderen Dienstagsfrauen zu, als sie ihn
zum ersten Mal trafen.
    »Ich habe
ein konturloses Gesicht und einen fürchterlichen Kleidergeschmack. Das gehört
zu mir«, konterte Arne genauso frech.
    Dasselbe
empfand er für Judith. Sie gehörte zu ihm. Ganze dreiundsechzig Tage nachdem
er sie in der Buchhandlung zwischen Feng-Shui und Buddhismus entdeckt hatte,
heirateten Judith und Arne auf einem Rheinschiff »Alles im Fluss«, verkündete
Arne, »das passt zu uns.«
    Die Dienstagsfrauen
waren nicht die Einzigen, die von den Ereignissen überrollt wurden.
    »Wir
freuen uns so sehr, Julia kennenzulernen«, frohlockte eine kugelrunde Tante im
fliederfarbenen Ensemble. Sie verströmte den Duft von Mottenkugeln und 4711.
    »Sie heißt
Judith«, korrigierte Caroline zum wiederholten Mal, denn Arne hatte viele
Tanten.
    Das
Gesicht der alten Dame nahm eine Farbe an, die sich harmonisch zum Fliederton
gesellte.
    »Macht
nichts«, winkte Estelle ab. »Wir haben Anton auch erst vor ein paar Tagen kennengelernt.«
    »Arne«,
mahnte die Tante, die für Estelles Humor kein Gespür hatte.
    »Es kam
alles so überraschend«, bestätigte man sich gegenseitig und ging dann zum
verwunderten »Wer hätte das gedacht« über.
    »Ich«,
verkündete Judith. »Ich wusste vom ersten Moment an, dass ich mit Arne alt
werde.«
    Und jetzt
hatte sie das Schicksal in den vierten Stock des Krankenhauses geführt.
     
    Draußen
brach zum ersten Mal seit Tagen die Sonne hinter den Wolken hervor, auf den
Stationen begann die Besuchszeit, und im vierten Stock tropfte die Zeit.
Neunundfünfzig Minuten, bis die Schwester das nächste Mal bei ihr vorbeisehen
würde, zehn Minuten für den Tee, drei Minuten, um Arnes Kissen gerade zu
rücken, dreizehn Sekunden, bis der Tropfen mit der Morphiumlösung sich löste und
im durchsichtigen Schlauch versickerte.
    Wo blieb
Caroline nur? Jede der Dienstagsfrauen war willkommen. Ihre Gesellschaft
tröstete sie. Eva brachte Tupperdosen mit aufmunternden Köstlichkeiten, Estelle
den neuesten Klatsch, Kiki gute Laune und einen Hauch Hektik. Aber selbst das
fühlte sich besser an als diese Todesstille, in der man nur auf diesen einen
letzten Moment wartete.
    Vom Gang
her kam ein Geräusch. Das waren die Bestatter. Man hörte sie schon von Weitem.
Die Stationsbetten klapperten, die Bahren der Totengräber jedoch glitten auf
weichen Gummirollen über das Linoleum. Erst war dieses feine Sausen zu hören,
dann die schweren Schritte der Angehörigen, die das Sterbezimmer verließen.
Ein, zwei Stunden später kam die Desinfektionskolonne mit ihrem hell
quietschenden Reinigungswagen. Dann wieder ein klapperndes Bett. Judith hatte
dieses Lied des Todes, das im vierten Stock wie ein Kanon immer wieder von
vorne begann, in den letzten Tagen schon ein paarmal gehört. Vielleicht war das
schlimmer als der rasselnde Atem von Arne.
     
    Als Arne
noch gesund war, hatte sie tausend Wünsche. Jetzt nur einen einzigen. Wenn sie
nur einmal noch seine Stimme hören könnte, sein ausgelassenes Lachen, einmal
noch seine Hände auf ihrer Haut spüren. Einmal noch. Bitte.
    Judith
wusste nicht, wie sie ohne Arne weiterleben sollte. Sie konnte sich nicht
vorstellen, dass sie aus dem vierten Stock in eine leere Wohnung zurückkehren
würde. Wie sollte sie jemals wieder in dem Bett schlafen, in dem sie gemeinsam
mit Arne gelegen hatte? Sie hatte das klobige Ungetüm, das ihr Schlafzimmer
verstellte, nie gemocht.
    Wie
merkwürdig. Judith feierte bald ihren vierzigsten Geburtstag und hatte noch nie
ein eigenes Bett gekauft. Mit siebzehn hatte sie das heimische Stockbett, das
sie mit dem acht Jahre jüngeren Bruder teilte, verlassen und war bei ihrem
Freund eingezogen. Kai war siebenundzwanzig und Besitzer einer achtzig
Zentimeter breiten Matratze. Bei jeder Bewegung schrammte ihr Arm über die
Wand, die sich wie ein Reibeisen anfühlte. Kai hatte Sägespäne in die weiße
Wandfarbe gemischt.
    »Echte
Raufasertapete ist viel zu teuer«, befand er diktatorisch.
    Judith
liebte bunten Wandbehang in warmen Farben, aber es war Kais Wohnung. Es war
auch Kais Geld und Kais Vorstellung vom Leben. Und dazu gehörten Raufasertapete,
Sparsamkeit und Eheringe. Selbst beim Sex liebte Kai

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