Peetz, Monika
Berglandschaft flirrte, der Weg waberte und die Sonne kochte ihr Muskelgewebe
weich. Eva kramte nach ihrer Wasserflasche. Kein Tropfen mehr drin. Kein
einziger Tropfen. Sie schaffte das nicht. Sie war nicht so stark wie die
Freundinnen, die wie üblich an der Gabelung auf sie warteten. Eva blieb nur des
Pilgers letzte Rettung: Sie faltete die Hände und schickte ein Stoßgebet zum
Himmel.
»Hilf,
heiliger Jakobus! Hilf einer armen Pilgerseele«, rief sie nicht ohne Pathos.
Natürlich
passierte nichts. Nach ein paar letzten Metern ließ Eva sich auf den trockenen
Sandboden fallen. Auf die Knie. Sie. Konnte. Nicht. Mehr. Vielleicht musste man
in einem anderen Ton mit dem Apostel reden. Mit zunehmender Verzweiflung
wiederholte sie ihre Bitte: »Cher St. Jacques, beeil dich. Beam me up.«
Es
passierte immer noch nichts.
Eva hielt
den Daumen raus. Eine Verzweiflungstat. Denn in der abgeschiedenen Landschaft
fuhr kein einziges Auto. Um sie herum nur Weite und Einsamkeit. Irgendwo bellte
ein Hund, eine Ameise krabbelte über ihre Hand. Sie war zu schwach, um sich
dagegen zu wehren. Sie streifte den Rucksack ab und fiel zur Seite.
Eva hatte
das Ende ihres Pilgerwegs erreicht. Sie lag regungslos auf dem Boden, als
hätte sie ihre endgültige Bestimmung erreicht. Die Vögel tirilierten über ihrem
Kopf. Wenn sie noch lauter zwitscherten, würde es nicht mehr lange dauern, bis
es sich zu den Raubvögeln herumgesprochen hatte, dass hier leichte Beute zu
finden war. Sie erwartete jeden Moment den geräuschlosen Anflug eines Adlers.
Stattdessen näherte sich ein heiseres Motorengeräusch. Bremsen quietschten. Eva
hob mühsam den Kopf.
Als sich
die Staubwolke legte, erschien im gleißenden Licht ein dreirädriger knallroter
Mini-Pick-up. Auf der kleinen Ladefläche klingelten Orangina-Flaschen
gegeneinander, Tomaten und Südfrüchte kugelten ob der abrupten Bremsung
durcheinander. Ein Korb mit Baguettes fiel um. Was war das? Eine Fata Morgana,
die den Wanderer in die Irre lockte? Ein Traumbild? Die Beifahrertür öffnete
sich quietschend. Wie in Zeitlupe.
Das Ganze
erinnerte Eva an eine Szene aus den Western, die ihre Jungs liebten. Es war die
Sekunde vor dem großen Showdown. Der Wind wehte Sand und Strohballen über den
staubigen Dorfplatz. Die Gegner hielten sich verborgen. Die Musik dräute. Man
spürte, gleich würde etwas passieren. Spannung hing in der Luft.
Doch das
hier war kein Western und Eva ohne jeden Arg. Ohne einen weiteren Gedanken zu
verschwenden, erhob sie sich schwerfällig, sortierte ihre angeschlagenen
Glieder und schleppte sich zum Auto. Auf dem Fahrersitz ein kerniger Kerl mit
verspiegelter Sonnenbrille und Fünftagebart. Obwohl das Gefährt wohl kaum
vierzig Stundenkilometer erreichte, hatte er die Ausstrahlung eines verwegenen
Easy Riders. Wenig vertrauenerweckend auf den ersten Blick. In Köln wäre das
der perfekte Moment, um schreiend davonzulaufen. Der Mann hielt Eva die Hand
hin und stellte sich kurz und bündig vor: »Jacques.«
Eva
strahlte über das ganze Gesicht: »Ich weiß.«
Ohne zu
zögern zwängte Eva sich und ihren Rucksack in das wacklige Gefährt. Die
unfassbare Selbstverständlichkeit, mit der sie neben ihm Platz nahm,
überrumpelte Jacques. Er brach in schallendes Gelächter aus. Jacques nahm die
Sonnenbrille ab. Darunter kam ein sonnengegerbtes, freundliches Gesicht mit
unzähligen Lachfalten zum Vorschein. Er wischte sich die Tränen aus den Augen.
Immer noch lachend, klärte er sie auf: »Wunder kann ich nicht bewirken. Aber
ich kann Sie zu unserem Hotel mitnehmen.«
Eva
nickte. Nichts anderes hatte sie erwartet. Sie lehnte sich zum Fenster hinaus,
hob die Augen gen Himmel und sagte ein einziges Wort:
»Danke.«
34
Eva
betete, Estelle fluchte. »So ein dummes Ding«, schimpfte sie lautstark vor sich
hin. Estelle haderte mit ihrem Koffer. Sie hatten nicht einmal die Hälfte der
Strecke hinter sich, als Estelle genug hatte von dem unangenehmen Geschaukel.
Dabei hatte Yves an alles gedacht. Geringes Eigengewicht, bewegliche,
geländegängige Rollen mit verbreiteter Spur, groß und weich wie die von
Inline-Skates. In der Rückwand hatte Yves selbst Rucksackträger versteckt.
Estelle war der tiefen Überzeugung, dass sie eindeutig aus dem Alter raus war,
in der man als Backpacker durch die Welt zog. Ehrlich gesagt war sie nie in dem
Alter gewesen. In einer Zeit, in der ihre Kommilitonen als Rucksacktouristen
bei hinduistischen Gurus ihren Seelenfrieden suchten,
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