Peetz, Monika
setzte Estelle auf
gemachte Betten. Zu Hause und im Urlaub. Sie hatte nie begriffen, warum Kiki
von ihren Reisen ohne Geld, Vorbereitung und Plan schwärmte. Jahr um Jahr
schleppte Kiki sich mit den Mitbringseln aus fernen Ländern ab. Matthieu hatte
sich von selbst verkrümelt, der Rest war meist materieller Natur und verschwand
bei Kikis häufigen Umzügen. Ein Set Weingläser, das sie unter Qualen auf dem
eigenen Rücken aus Mexiko importiert hatte, weil sie sich in das dicke Glas
mit den Luftblasen verliebt hatte, erlebte einen Glanzmoment, als eine
eifersüchtige Ehefrau Kiki zu Hause aufsuchte, um sie zur Rede zu stellen.
Nicht einmal die Polizei schenkte Kiki Glauben, als sie beteuerte, sie habe
keine Ahnung, dass ihre neue Liebe verheiratet war.
Der
ausziehbare Griff des Koffers glitt aus Estelles Hand und knallte auf den
Boden. Die Räder waren mal wieder an einem Hindernis hängen geblieben. Sie
bückte sich, hob den Griff wieder an und wuchtete den Koffer mühsam über die
dicke Astgabel. Die Schulter schmerzte, die Blasen an den Handinnenflächen
wuchsen. Der kilometerlange, stete Anstieg verwandelte den Koffer in Blei.
Caroline hatte Pflaster in ihrem Rucksack. Doch die lief ein paar Meter vor
ihr. Estelle nahm Tempo auf und blieb an einem Stein hängen. Von wegen »die
beweglichen Räder machen das Transportieren zum Vergnügen«. Das hier war eine
Qual. Ungehalten wechselte sie die Hand, als eine quäkende Autohupe sie vom Weg
jagte. Hinter ihr näherte sich ein rostiger Mini-Pick-up. Einer von vielen, die
in der Gegend fuhren. Das Besondere an diesem Transporter war, dass Evas Kopf
rausschaute. Die Freundin, die seit Frido keinen anderen Mann mehr angesehen
hatte, saß dicht gedrängt in einem Minifahrerhäuschen mit einem fremden Mann
und strahlte, als wäre ihr die Mutter Gottes persönlich begegnet. Was in aller
Welt hatte Eva vor?
»Auberge
de la Paix«, rief Eva ihr aus dem Auto zu, während das Auto an den Freundinnen
vorbeifuhr. »Acht Kilometer von hier.«
»Das gilt
nicht. Das ist unfair«, beschwerte sich Estelle.
Doch der
Pick-up tuckerte bereits in Richtung Judith, die entgeistert war, dass Eva es
wagte, aus der Gruppe auszuscheren.
»So wird
das nie was mit dem Pilgern«, rief sie Eva vorwurfsvoll zu. Evas gute Laune
trübte das nicht im Geringsten. Sie hatte an die Freundinnen gedacht: »Ich
habe bereits Betten geregelt. Auch für Max.«
Max war in
den letzten Tagen fester Teil der Wandergruppe geworden. Auf die ihm eigene
Art. Sich in den Vordergrund zu spielen, war ihm fremd. Er mischte sich nicht
ein, er wahrte Abstand, bisweilen war er ein paar Stunden fast unsichtbar. Aber
spätestens, wenn sie in einen Bus einstiegen, war er wieder da. Er blieb an
ihrer Seite. Und winkte Eva jetzt fröhlich zu, als sie mit dem Auto an ihm
vorbeizog und zur Spitze aufschloss.
»Jacques
hat eine Unterkunft für uns«, rief Eva zu Caroline und Kiki. »Ich warte auf
euch.«
Das Auto
entfernte sich, die Staubwolke verschwand, das Motorgeräusch verlor sich. Übrig
blieben der Weg und die Frauen, die marschierten. Stein für Stein. Schritt für
Schritt. Meter für Meter. In die andächtige Stille hinein ein metallischer
Knall. Und dann das Fluchen von Estelle. Niemand sah sich um. Die
charakteristischen Geräusche, die ihren Pilgerweg begleiteten, gehörten
zusammen. Wie Blitz und Donner.
35
Das kleine
dreirädrige Gefährt schaukelte in gemächlichem Tempo über die holprige Piste.
Jacques erzählte: von dem Schäfer, der bereits in der vierzehnten Generation
seinem Gewerbe nachging, von den Bärenspuren, die man gestern gefunden hatte,
von gerissenen Schafen und vehementen Diskussionen. In der Gegend gab es mehr
Vereine gegen die Bären als lebende Tiere. Trotzdem war eine der frisch ausgewilderten
Kreaturen neulich von einem durchgedrehten Jäger erschossen worden.
Jacques
hätte Eva einen Bären aufbinden können (um bei den Sprichwörtern zu bleiben):
Sie hörte doch nur die Hälfte von dem, was er ihr so blumenreich beschrieb. Die
Erschöpfung war der jähen Erkenntnis gewichen, in welch prekäre Situation sie
sich gebracht hatte. Sie hatte sich von den Freundinnen getrennt und ließ sich
von einem Wildfremden entführen, von dem sie gerade mal den Vornamen kannte.
Sie hatte keine Ahnung, wohin der Weg sie führte und was auf sie zukam. Wie ein
lebenshungriger Teenie hatte sie sich unüberlegt auf einen Unbekannten
eingelassen. Es fühlte sich großartig
Weitere Kostenlose Bücher