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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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zu
friedensbewegten Zeiten zeigte. Auf die Rückseite hatte er für Eva das
traditionelle Cassoulet-Rezept notiert.
    »Die
Akademie würde sich freuen, wenn du das Rezept nach Hause trägst.«
    Seine
Stimme krabbelte ihren Rücken hinab. Zittrig öffnete Eva ihre Brieftasche, um
das Bild zu verstauen. In den Klarsichthüllen leuchteten die Familienporträts.
Jacques nahm Evas Hände, zog sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf die
Lippen:
    »Bon
voyage, Eva.«
    »Danke für
alles«, flüsterte Eva, bevor sie eilig im Zimmer verschwand. Sie war zufrieden
mit dem Tag. Und mit dem Rezept, das sie sicher in ihrer Brieftasche wusste.
Als Erinnerung und als Mahnung. Sie hatte den Kuss noch auf den Lippen. Und
jetzt wusste sie, wie Cassoulet schmeckte. Es schmeckte nach Neuanfang.
     
    Jacques
blieb auf dem Gang stehen und sah Eva versonnen hinterher. Als er sich
umdrehte, merkte er, dass er einen letzten Pilger vergessen hatte: Caroline.
Die tat so, als betrachtete sie andächtig die billigen Kunstdrucke an der Wand.
    »Ich habe
nichts gesehen«, rief Caroline. »Ich muss was an den Augen und Ohren haben.«
    Jacques
lachte nur. Er warf einen Blick in den rechten Raum. Dann wies er stoisch nach
links. Dorthin, wo kurz zuvor Max entschwunden war. Einzelzimmer, so musste
Caroline lernen, gab es hier sowieso nicht.
     
    43
     
    Unkomfortabel
das Bett, knapp bemessen der Platz, männlich die Gesellschaft. Gemeinsam mit
Max war Caroline im Schlafsaal der Männer gelandet. In der Evolution vom Urmenschen
zum modernen Individuum mag das Schlafen in der Gruppe eher die Regel als die Ausnahme
dargestellt haben. Aber selbst wenn man Pilgern als Rückbesinnung auf einfache
Lebensformen begriff, stellte das, was in dieser Nacht auf Caroline zukam, eine
echte Herausforderung dar. Beim Anblick behaarter Männerbeine, welker Oberarme
und ausladender Bäuche bereute Caroline zutiefst, bei der Bettenvergabe
höfliche Zurückhaltung geübt zu haben.
    Sie
versuchte, sich so verstohlen wie möglich ihrer Kleider zu entledigen. Als sie
die Stielaugen ihrer männlichen Mitpilger bemerkte, beschloss sie kurzerhand,
die Nacht in ihrer Wanderkluft zu verbringen. Das konnte das Geruchserlebnis,
das mit dem Pilgern einherging, bestimmt nur geringfügig verschlimmern.
    Vor der
gemeinschaftlichen Nachtruhe ging das gemeinschaftliche Licht aus, was zu
wütendem Protest aus vielerlei Kehlen und erneutem Aufflammen der
Deckenbeleuchtung führte. Dreimal ward es Licht, bevor endlich Ruhe einkehrte.
Caroline hatte sich gerade in Wolldecke und Laken gekuschelt, als monotones
Gemurmel von abendlichen Gebeten aufbrandete. Was mochten diese Menschen auf
dem Kerbholz haben, wenn die Rosenkränze in der Kirche nicht genug waren, die
Schuld von sich abzubeten? Wider Erwarten hatte das sanfte Gemurmel etwas
Beruhigendes. Schwer wog der Weg in Carolines müden Gliedern. Die Genugtuung,
sich körperlich etwas abzuverlangen und die eigenen Grenzen zu erspüren, machte
den Kopf frei. Ein unerwartetes Glücksgefühl breitete sich wohlig in ihrem
Körper aus.
     
    Minuten
später brach das Inferno los. Manche Menschen schnarchen selten, manche immer,
wieder andere bei Schnupfen oder übermäßigem Alkoholgenuss. Die menschliche
Spezies, die geneigt war, sich auf ein Pilgerabenteuer einzulassen, schnarchte
vor allem laut. Zu allem Überfluss hustete Carolines unmittelbarer Nachbar von
Bett sechzehn den Teer unzähliger Zigaretten aus der malträtierten Lunge. Es
war nicht auszuhalten.
    Caroline
schien die Einzige, die sich an dem heimlichen Wettkampf um immer neue
Dezibelrekorde störte. Studien bewiesen, dass Frauen besser schlafen, wenn kein
Mann an ihrer Seite ruhte. Die Praxis erwies mal wieder, dass das bei Männern
genau umgekehrt zu sein schien. Die Herren Pilger schliefen, Caroline litt.
Warum hatte sie nicht an Ohrstöpsel gedacht? Natürlich standen die auf ihrer
Checkliste. Und natürlich hatte Caroline darüber nachgedacht und leichtfertig
entschieden, dass ihr auf einer wenig populären Nebenstrecke des Jakobswegs so
etwas wie ein überfüllter Schlafsaal nicht begegnen konnte.
    Entnervt
zog Caroline das Kissen über den Kopf. Sie versuchte verzweifelt einzuschlafen,
als sie fühlte, dass sich jemand auf ihre Pritsche setzte.
     
    Nach der
Messerattacke hatte sie einen Selbstverteidigungskurs besucht. Gemeinsam mit
ihrer Tochter Josephine, der sie per mütterlichem Dekret einen Kursus in
Wehrhaftigkeit verordnet hatte. Der Kurs wurde zu einem unerwarteten

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