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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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Höhepunkt
in ihrer gemeinsamen Geschichte: Zwischen Ellenbogenhebeln, Kniestößen und
heftigen Tritten gegen Spann, Schienbein, Knie, Oberschenkel und Genitalien war
Mutter und Tochter viel Zeit geblieben, miteinander zu reden und zu lachen.
Sie hätte Fien längst fragen sollen, den Auffrischungskurs anzuhängen. Jetzt
war es zu spät. Eine ungefährliche Art, sich zur Wehr zu setzen, gab es nicht.
Caroline versuchte sich zu erinnern, wo das Taschenmesser lag, als eine
weibliche Stimme ihr etwas zuraunte.
    »Ich muss
dir was zeigen.« Der nächtliche Überfaller war Estelle. Das Licht, das durch
den kleinen Spalt in der Tür vom Gang in den Schlafsaal fiel, reichte Caroline,
um zu sehen, dass Estelle etwas in der Hand hielt. Es war das Tagebuch von
Arne.
     
    44
     
    »Das ist Diebstahl«, empörte sich Caroline.
    Estelle
sah das ganz anders: »Notwehr. Höchstens.«
    Die beiden
Frauen hatten sich in die Gemeinschaftsduschen am Ende des Ganges
zurückgezogen. Der einzige Ort, an dem man ungestört miteinander reden konnte.
Vorausgesetzt, man ließ sich nicht stören durch flackerndes Neonlicht,
orangefarbene Fliesen und eine tropfende Dusche, die wie eine Buschtrommel
verkündete, dass hier mal wieder gründlich renoviert werden musste.
    »Ich mache
bei solchen Heimlichkeiten nicht mit«, entschied Caroline. Ihre Worte hallten
in dem hohen, gekachelten Badezimmer wider. Wenn hier jemand laut sang, hatte
das ganze Haus etwas davon. Noch ein Beweis: Caroline hatte nicht einmal die
passende Stimme zum Flüstern, Tuscheln, Raunen und Munkeln. Wenn sie etwas
sagte, sagte sie es so, dass ihre schwerhörige Rentnerstammhörerschaft, die
keinen öffentlich zugänglichen Mordprozess ausließ, etwas davon hatte.
    »Wir sind
Freundinnen, so gehen wir nicht miteinander um«, befand sie.
    »Hör erst
mal zu«, forderte Estelle sie energisch auf.
    »Du hast
es bereits gelesen«, erkannte Caroline. Estelle ließ sich von Carolines
empörtem Einwurf nicht aufhalten, schlug ungerührt eine Tagebuchseite auf und
erhob die Stimme:
    »Manche
meinen, dass Pilger Wasser trinken und Brot essen. Doch als ich nach einem
langen Stück staubigen Weges bei Jerome einkehre, will ich nicht mehr leiden.
Ich will genießen, was das Land, das ich Meter um Meter durchschreite, an Köstlichkeiten
hervorbringt. Nirgendwo anders kann man das so authentisch schmecken wie bei Jerome.«
    »Arne, wie
er leibt und lebt«, meinte Caroline. »Ein bisschen übertrieben, schwülstig,
blumig. Arne eben.«
    »Genau das
ist es nicht«, trompetete Estelle heraus. Sie kostete ihren
Informationsvorsprung genüsslich aus. Caroline fühlte sich wie in einer
Quizshow, in der nicht nur die Antworten, sondern auch die Fragen gesucht
wurden. Sie hatte längst vergessen, dass sie von dem heimlich entwendeten Tagebuch
nichts wissen wollte: »Was sollen die Andeutungen? Wovon redest du, Estelle?«
    Caroline
konnte nicht verhindern, dass sie in den scharfen Ton verfiel, den Zeugen aus
ihren Kreuzverhören kannten. Dabei ging es nicht um einen Kriminalfall. Es ging
um ihre Freundin Judith und deren verstorbenen Mann.
     
    Estelle
bewies, dass ihr der Sinn für den gelungenen Auftritt auch in Frankreich nicht
abhandengekommen war. Übertrieben langsam und umständlich kramte sie aus ihrer
Hosentasche Papiere hervor.
    »Du
erinnerst dich an die Restaurantkritiken?«
    »An die
marinierten Flusskrebse in Vermouth-Sauce? Natürlich. So oft wie du damit
genervt hast.«
    Estelle
reagierte eingeschnappt: »Wir sind eine Gruppe. Da darf jeder seine
Vorstellungen anmelden. Und ich lege nun einmal Wert darauf, dass ich meinen
Körper, den ich mit so viel Zeit, Mühe und Geld ...«
    »Sag
einfach, was los ist«, unterbrach Caroline sie rüde.
    Estelle
holte tief Atem: »Der Text, diese schwülstigen Formulierungen ...« Wieder
legte sie eine dramatische Kunstpause ein. »Estelle!«
    »Arne hat
abgeschrieben«, ließ Estelle die Bombe platzen. »Wie abgeschrieben?«
    »Dieser
Text aus dem Tagebuch ist identisch mit einer meiner Restaurantkritiken aus dem
Internet.«
    Aufgeregt
tippte Estelle mit dem Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle.
    »Lies
selbst.«
    Caroline
nahm den Zettel. Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen.
    »Was das
Land, das ich Meter um Meter durchschreite, an Köstlichkeiten hervorbringt.
Nirgendwo anders kann man das so authentisch schmecken wie bei Jerome.«
    Arne hatte
sich nicht die Mühe gemacht, den Namen auszutauschen.
    Estelle
las jetzt mit Caroline im Chor:

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