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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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besteigen, ist, sich in Serpentinen dem Ziel
zu nähern. So war das auch mit unangenehmen Eröffnungen. Vorsichtig tastete
die Anwältin sich an die Wahrheit heran.
    »Es geht
um das Tagebuch, um das, was Arne geschrieben hat.« Sie machte eine Pause. Das
hatte sie von Philipp gelernt, der in seiner Praxis wöchentlich negative
Diagnosen zu überbringen hatte. Pausen gaben einem Gegenüber die Zeit, mit dem
Kopf hinterherzukommen und eigene Fragen zu formulieren. Judith hatte
offensichtlich keine Ahnung von solchen Theorien. Noch bevor Caroline die erste
Haarnadelkurve auf dem Serpentinenweg erreicht hatte, prasselten Judiths
Vorwürfe auf sie nieder:
    »Schnüffelst
du mir hinterher?«
    »Hör erst
mal zu.«
    Judith
brauchte nicht zuzuhören. Sie hatte sich längst eigene Gedanken gemacht.
    »Das
Tagebuch ist nicht von Zauberhand unter meinem Bett gelandet. Es war auch kein
Pilger, der mir hinterherstieg. Du hattest es. Du hast es dir heimlich
ausgeliehen.«
    »Das war
ich«, gestand Estelle ehrlich. »Caroline konnte nichts dagegen machen.«
    »Es war
ein Fehler«, gab Caroline unumwunden zu.
    »Wie kommt
ihr dazu, in meinen Sachen zu wühlen? Was geht euch Arnes Tagebuch an?«
    Judith
hatte recht. Sie hatten einen Fehler gemacht und wenn ihre Freundschaft eine
Zukunft haben sollte, musste der korrigiert werden. Die Lügen mussten aufhören.
Lügen waren Bumerangs. Sie kamen zurück und trafen den, der sie in die Welt
gesetzt hatte, um Schlimmeres abzuwenden. Manchmal kam der Bumerang sofort
zurück, manchmal brauchte er länger. Caroline hatte einen Mann verteidigt, der
nach Jahrzehnten von seinen Lügen eingeholt worden war. Ein Cold Case Team
hatte den Mord an einem dreizehnjährigen Mädchen neu aufgerollt. Dreißig Jahre
war die Tat her. Aus dem verdächtigen Nachbarssohn von einst war ein
unbescholtener Bürger, braver Familienvater und ordentlicher Beamter ohne
Strafblatt geworden. Ein halbes Leben war vergangen, als er doch noch vor
Gericht gestellt wurde. Ungewollt wurde er der beste Zeuge der Anklage, weil er
sich nicht mehr erinnerte, welche Lügen er den Ermittlungsbehörden vor vielen
Jahren aufgetischt hatte. An die Wahrheit erinnerte man sich auch nach
Jahrzehnten. Die Lügen aber hatte der Mann längst vergessen. Als sein Bumerang
ihn einholte, traf es ihn unvorbereitet. So etwas wollte Caroline nicht
erleben. Nicht mit ihren Dienstagsfrauen.
    Caroline
schluckte. Und redete weiter. Weil es sein musste. Alles musste auf den Tisch.
    »Es sieht
so aus, als wäre Arne gar nicht gepilgert. Sein Tagebuch ist eine Collage aus
Fundstücken aus dem Internet.«
    Judith
lachte höhnisch auf: »Du hast Arne nie gemocht. Weil er nicht in dein
rationales Weltbild passte.«
    Caroline
ermahnte sich innerlich, ruhig zu bleiben. Und die Retourkutsche als das
anzusehen, was sie war: ein plumper Versuch, einem anderen den Schwarzen Peter
zuzuschieben. Ein Versuch, das zu leugnen, was sie ahnen musste, seit sie am
Massif de la Clape zum ersten Mal ihren Weg verloren hatten.
    »Wir haben
einen Zeugen, Judith. Arne hat hier Urlaub gemacht. Regelmäßig. Bei jemand, der
Dominique heißt.«
    Judiths
Augen verengten sich gefährlich: »Weiter!«
    »Wissen
wir nichts«, gestand Caroline. »Wir haben Dominiques Adresse. Sonst nichts.«
    Es war
raus. Caroline beobachtete Judith aufmerksam: Wie würde sie es aufnehmen? Die
anderen drei Frauen unterzogen ihre Fußspitzen einer gründlichen Inspektion.
Nach einer Schrecksekunde brach Judith in Gelächter aus. Sie lachte aus vollem
Herzen. Wie befreit. Vollkommen unpassend.
    »Ich
verstehe, dass das Zeit braucht, sich zu setzen«, sprach Caroline Judith
vorsichtig zu.
    Judith
lachte noch immer. Keine der Freundinnen konnte sich einen Reim auf ihr
seltsames Verhalten machen. Estelle zeigte mit kreisendem Zeigefinger an ihre
Schläfe: Jetzt war Judith endgültig durchgedreht.
    »Wenn du
unter diesen Umständen die Pilgerreise abbrechen möchtest, ich kann das
verstehen. Wir alle verstehen das«, erklärte Caroline.
    Judith
hörte unvermittelt auf zu lachen. Ihre Augen schossen Giftpfeile auf Caroline ab.
Aus dem schutzbedürftigen, kleinen Wesen, das sie bislang gegeben hatte,
schälte sich jemand, der Kraft hatte. Und eine unglaubliche Wut im Bauch.
    »Die tolle
Caroline. Immer ein kluges Wort zur rechten Zeit. Deine Besserwisserei kotzt
mich an.«
    Die Dienstagsfrauen
standen unter Schock. Nur Caroline blieb gelassen: »Wenn du deine Wut an mir
auslassen willst: prima. Ich habe

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