Peetz, Monika
Ihr Angebot«, gab sie zu. »Es geht um mich.«
Paul
Gassner hakte vorsichtig nach. »Sind Sie sicher, dass ich Ihnen dabei helfen
kann?«
»Es
scheint, Sie wissen mehr über mein Leben als ich selbst.«
Caroline
bemühte sich, nicht in Richtung Maria zu sehen. Sie brauchte kein göttliches
Zeichen, um zu wissen, dass es richtig war, sich und anderen Fragen zu stellen.
Sie wollte nicht so sein wie die Ehefrauen, die ihr so oft bei Prozessen
begegneten: ahnungslos, blind, taubstumm und wahrheitsresistent. Sie hatte
Frauen kennengelernt, die trotz vorliegendem Geständnis an die Unschuld ihrer
kriminellen Männer glauben wollten, weil sie sonst ihre persönliche Geschichte
infrage stellen mussten. So wollte sie nicht sein. Vorsichtig tastete sie sich
an das heran, was sie wissen wollte.
»Sie haben
das so betont, mit meinem Mann. Wegen den Kongressen und dem Sport. Wie meinten
Sie das eigentlich?«
60
Schlaflos
wälzte Eva sich hin und her. Sie hatte alles ausprobiert. Warme Milch
getrunken, Schafe gezählt, das Kirchenlied von Oma Lore gesummt, sich an
Kniebeugen versucht. Nichts half. Das ungute Gefühl, das der Streit
hinterlassen hatte, ließ sich durch keinen Einschlaftrick verscheuchen. Morgen
würde sich alles aufklären, hoffte sie. Judith und Caroline mussten sich nur
aussprechen.
Eva konnte
Judith verstehen. Der Vertrauensbruch von Caroline und Estelle wog schwerer als
das, was der tote Arne irgendwann getan hatte oder auch nicht. Kein Wunder,
dass Judith mit albernen Unterstellungen kam. Sie war wie ein Tier, das in die
Ecke gedrängt wird und gnadenlos um sich beißt. Deswegen die billige
Retourkutsche mit dem Hinweis auf Carolines Ehe. Nichts anderes konnte diese
dunkle Anmerkung sein, die Judith auf Caroline abgefeuert hatte. Für Eva waren
Philipp und Caroline das perfekte Ehepaar. Sie hatten es über zwei Jahrzehnte
miteinander ausgehalten, gingen respektvoll miteinander um und konnten Anekdoten
erzählen, ohne sich gegenseitig ins Wort zu fallen und Pointen zu ruinieren.
Eine Retourkutsche, das musste es sein. »Morgen klärt sich alles auf«, sagte
sie sich vor. Schlafen konnte sie trotzdem nicht.
Entnervt
knipste Eva das Licht an. Die Zelle war an Kargheit kaum zu überbieten. Leere,
weiße Wände, eine schwere Holztür, ein Fenster, das zu hoch war, um in den
Klostergarten zu schauen. Die einzige Ablenkung, die sich bot, war ein Stapel
des christlichen Lourdes-Magazin. Die Zeitschrift für Wallfahrende
des dritten Jahrtausends hatte nur ein Thema. Das
historische Lourdes zu Zeiten der Erscheinungen, die Visionen der Bernadette,
Wunderheilungen und Pilgerströme. Auf jeder zweiten Seite war Maria mit ihrem
weißen Schleier, dem blauen Gürtel und den gelben Rosen auf beiden Füßen
abgebildet. »Buße, Buße, Buße«, hatte die Mariengestalt gerufen. »Betet zu Gott
für die Sünder.«
Eva
zweifelte keine Sekunde daran, dass die Geschichte sich so zugetragen haben
musste. Warum sollte das Mädchen die Unwahrheit sagen? Wer sollte ihr den
komplizierten Satz der sechzehnten Erscheinung eingeflüstert haben: »Que soy
era Immaculada Councepciou«. »Ich bin die unbefleckte Empfängnis.« So was
dachte sich kein ungebildetes Arbeiterkind aus. Das Wasser von Lourdes hatte
Menschen geheilt. An Leib und an Seele. Die Magie des Ortes würde ihre Herzen
erreichen. Hoffte sie.
»Buße,
Buße, Buße«, hallte es im Halbschlaf in ihrem Kopf Aber wer war hier der
Sünder? Wer war Täter? Wer das Opfer? Um was ging es eigentlich?
»Pass auf,
was du vor dem Einschlafen liest«, hatte Oma Lore immer gepredigt. Die
Geschichte der Bernadette, stellte Eva fest, eignete sich nicht dazu, sie sanft
in den Schlaf zu wiegen.
Da war ein
Geräusch. Hatte sie die Tür abgeschlossen? Vermutlich nicht. Zu Hause übernahm
Frido diese Aufgabe. Sie lag meist im Bett, wenn Frido sein letztes Glas Wein
im Wohnzimmer trank.
Eva hob
ihren Kopf Es war mühsam, sich zu orientieren. Kein Mond, kein vager Schein
einer Straßenlaterne, kein Licht aus den Nachbarhäusern erleuchtete das karge
Zimmer. In Köln blieben die Vorhänge offen. Abgedunkelte Räume wie dieser
wirkten wie eine Grabkammer auf sie. Sie bekam davon Albträume.
Nein, Eva
hatte sich nicht geirrt. Da tapsten Schritte näher. Vorsichtige Schritte.
Schritte von jemandem, der nicht gehört und gesehen werden wollte. Die Klinke
bewegte sich langsam nach unten. Im Türrahmen stand eine mysteriöse Dame. Sie
trug ein weißes Kleid und einen weißen
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