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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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mit dem kleinen Finger den Handteller.
    Der Staatsanwalt zuckte verdutzt zusammen und wollte sich über diese unerhörte Vertraulichkeit schon empören, aber er beherrschte sich. Die befremdliche Kitzelei sah ihm doch stark nach irgendeinem Geheimzeichen aus.
    »Aha, wusste ich’s doch«, nickte Kescha und lachte leise. »Jetzt verstehe ich, warum Sie wissen wollen, wer Razewitsch freigekauft hat. Nun, ich habe diesbezüglich eine konkrete Vermutung. Allerdings, ich bin kein Jude, und deshalb gebe ich keine kostenlosen Ratschläge.«
    »Wie viel?«, fragte Berditschewski heiser vor Aufregung.

XI
    Die Stadt des Glücks
    Jüdisches Glück 1
    Es wurden keine Grabreden gehalten, und es wurde auch nicht geweint. So hatten es die Kommunarden untereinander vereinbart. Und Rahel hatte selbst noch, kurz bevor sie starb, gebeten: »Weint nicht.«
    Die Malaria war ganz anders, als Malke immer gedacht hatte. Am Morgen war Rahel aufgestanden wie immer und hatte die Kühe gemolken. Dann hatten sie sich zusammengesetzt und das Saatgut verlesen; dabei sangen sie zweistimmig: »Wecke nicht die Erinnerung«, und auf einmal sagte sie: »Irgendwie ist mir ganz schwarz vor den Augen, aber macht nichts, das geht bestimmt gleich vorbei.« Eine halbe Stunde später war sie schon glühend heiß vom Fieber.
    Malke brachte sie in den Han. Rahel sagte immer wieder: Ich schaff‘s schon, ich schaff s schon, lass mich, sonst kommen die Jungs vom Feld zurück, und wir haben das Mittagessen noch nicht fertig.
    Magellan kam, fühlte ihr die Stirn und sprang sofort aufs Pferd und ritt nach Sichron Jakov, um Doktor Scherman zu holen. Am Abend, als der Arzt kam, war Rahel schon tot. Es gibt offenbar auch eine galoppierende Malaria.
    Sie begruben sie im Dunkeln - die Schönste, die Beste –, beim Schein der Fackeln. Malke hatte den noch nicht erstarrten Leichnam gewaschen - weiß wie Schnee war er, ohne einen einzigen Leberfleck – und der Toten ein Seidenkleid und ihre feinen Stadtschuhe angezogen, die Rahel noch kein einziges Mal getragen hatte.
    Unter einem Eukalyptusbaum am Flussufer hoben sie eine Grube aus. Die Kommunarden hatten den Baum erst vor einer Woche gepflanzt, er war noch ganz klein, aber irgendwann einmal würde er groß und mächtig werden.
    In einiger Entfernung stand ein Grüppchen Araber aus dem Nachbardorf. Sie waren gekommen, um zuzuschauen, wie die Juden ihre Angehörigen bestatteten.
    Aber da gab es nichts besonders Interessantes zu sehen.
    Magellan trat vor und sagte: »Die Erste von uns ist gestorben, andere werden folgen. Lasst euren Mut nicht sinken.«
    Dann warfen sie Erde auf den Leichnam, den sie in ein einfaches Leintuch gehüllt hatten, und kehrten zurück in den Han.
    Und weil sie sich ein Alkoholverbot auferlegt hatten, gab es auch keine Trauerfeier, und sowieso, Magellan sagte: Kommt nicht infrage.
    Malke nahm sich zusammen, solange es ging. Aber als sie fühlte, dass sie es nicht mehr aushielt, schnappte sie sich einen Eimer und ging nach draußen, als wollte sie Wasser holen.
    Sie lief aus dem Han, lief immer weiter, bis sie weit genug weg war, und dann heulte sie sich die Seele aus dem Leib.
    Auf dem Rückweg hörte sie irgendwo im Gestrüpp ein dumpfes Schluchzen und Seufzen. Wer mochte das sein? Wahrscheinlich Senja Lewin, er hatte Rahel immer mit solchen Augen angesehen. Aber eigentlich konnte es jeder der fünfundzwanzig Übriggebliebenen sein, sogar Magellan selbst.
    Leise wie eine Maus huschte Malke an den Büschen vorbei.
    Die Kommune »Neu-Megiddo« bestand seit genau einem Monat.
    In dieser kurzen Zeit hatte man nicht wenig geschafft.
    Erstens hatten sie den verfallenen Han, den sie zusammen mit dem Ackerland erworben hatten, wieder hergerichtet und bewohnbar gemacht. Ein Han ist eine befestigte Wohnanlage, ein fensterloses Geviert aus Lehmwänden mit einem einzigen Tor darin. In dem Han befindet sich an der einen Wand die Wohnbaracke, an der anderen der Viehstall, an der dritten der Geräteschuppen und an der vierten der Speicher.
    Mischa der Agronom hatte ihnen gezeigt, wo man am besten Weizen anbaute, wo sie Orangenbäume und Mais anpflanzen und wo das Weideland anlegen sollten. Ihr Grundstück zog sich am Ufer des Flusses Kisson entlang und war gut und fruchtbar.
    Magellan hatte alles klug durchdacht und geplant. Sogar Eukalyptussetzlinge hatte er gekauft; die sollten die überschüssige Feuchtigkeit aus dem sumpfigen Boden ziehen. Und wie viel Geld er für die Kommune aufgetrieben hatte! Er war

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