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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Worte !‹ Magellan: ›Nein, Taten. Jedem Mann, der es gewagt hätte, unser Heiligtum, die Charta, zu zerreißen, hätte ich seine frevlerischen Arme gebrochen, und genau das tue ich auch mit dir.‹ Und ehe überhaupt jemand begreift, was dort geschieht, hat er sie schon zu Boden gedrückt, packt ihren Arm und zerknackt ihn wie einen dürren Reiser über dem Knie, und eh man sich versieht – zack – den zweiten Arm auch. Ich sage Ihnen, das war ein Bild! Ein Knacken und Krachen! Fira riss den Mund auf, die Augen traten ihr aus den Höhlen, und die Hände hingen ihr schlaff vom Ellenbogen herab. Ein Ärmel war hochgerutscht, und man konnte den bloßen Knochen sehen und das Blut!«
    »Hm, ein übles Subjekt, allerdings«, murmelte Berditschewski, der bei dieser bildhaften Beschreibung das Gesicht verzog. »Und, hat man ihn verhaftet? Das war doch immerhin eine ›mittelschwere Körperverletzung«, nach dem Strafgesetzbuch fünf Jahre Gefängnis oder drei Jahre Zwangsarbeit.«
    Sprach’s – und verstummte verlegen. Das klang doch verdächtig nach Staatsanwalt. Aber Golossowker hatte seine Erzählung viel zu sehr aufgeregt, als dass er dem juristischen Exkurs irgendwelche Beachtung geschenkt hätte.
    »Was denken Sie! Fira kam gar nicht auf die Idee, zur Polizei zu laufen. Am anderen Tag ging sie zu diesem Magellan, ist ihm mit ihren eingegipsten Armen um den Hals gefallen und hat ihn abgeküsst, weil er die Frau als gleichberechtigtes Wesen anerkannt hat. Aber das hab ich nicht mehr gesehen, ich war schon auf halbem Weg nach Shitomir.«
    »Sie sind geflohen?«
    »Ich habe die Beine in die Hand genommen, um das Geld zu holen«, antwortete Ephraim Lejbowitsch betrübt.
    »Eine sehr eindrucksvolle Geschichte, in der Tat, aber sie hat nichts mit meinem Problem zu tun«, sagte Berditschewski gedehnt. »Wenn nicht der Rabbi Razewitsch freigekauft hat, wer war es dann?«
    Der Wucherer zuckte mit den Achseln.
    »Das Geld ging anonym auf meinem Konto ein, die Überweisung kam von einer Filiale der ›Russischen Industrie – und Handelsbank« in Kiew.«
    »Und Sie haben nicht herausgefunden, wer das Geld überwiesen hat?«, fragte Matwej Benzionowitsch mit brüchiger Stimme.
    »Ich habe es natürlich versucht, aber die »Russische Industrie – und Handelsbank« gehört Gojim, ich habe dort keine Bekannten.« Ephraim Lejbowitsch hob bedauernd die Schultern. »Aber was geht mich das an? Kescha, sind Sie jetzt endlich fertig?«
    Das Geheimzeichen
    Vollkommen verwirrt trat Berditschewski den Rückweg in die Kleine Wilnaer Straße an. Die Reise nach Shitomir war also vollkommen unnütz gewesen, die kostbare Zeit ganz umsonst vergeudet.
    Seine beiden Versionen, eine glaubwürdiger als die andere, hatten sich in Wohlgefallen aufgelöst. Eine schwache Spur führte zu dieser Bank in Kiew, aber darauf gab er nicht viel. Als Jurist wusste Berditschewski sehr gut, was das Wort Bankgeheimnis bedeutete, und er respektierte es. Er konnte natürlich eine offizielle Anfrage der Staatsanwaltschaft an die Bank richten, aber das hätte ihm nichts als eine Menge Schreibkram eingebracht und trotzdem mit großer Wahrscheinlichkeit zu nichts geführt. Wenn der Absender des Geldes inkognito bleiben wollte, konnte er eine Unzahl von Winkelzügen benutzen.
    Matwej Benzionowitsch blieb ratlos mitten auf der Straße stehen, er wusste nicht recht, was er jetzt tun und wohin er sich wenden sollte.
    War die Ermittlung am Ende? Was sollte dann aus Pelagia werden!
    Plötzlich hörte er hinter sich einen weichen Tenor:
    »Herr . . . Wie heißen Sie noch . . . Herr Berditschewski!«
    Der Staatsrat drehte sich um und erblickte den gut aussehenden Kontoristen Kescha.
    »Können Sie denn den Kassenraum so einfach verlassen?«, fragte der Staatsanwalt verwundert. »Ist Herr Golossowker schon gegangen?«
    »Er verschließt den Tresor«, sagte der Blondschopf mit feinem Lächeln. »Das macht er grundsätzlich selbst, ich muss dann die Geschäftsräume verlassen.«
    »Und was kann ich für Sie tun? Möchten Sie mir etwas mitteilen?«
    Kescha legte den Kopf ein wenig zur Seite und fragte zögernd:
    »Sagen Sie . . . Sie sind doch gar kein Geldverleiher, oder?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Berditschewski sah den Kontoristen gespannt an.
    »Ich glaube, Sie interessieren sich eigentlich nur für Razewitsch, und ich denke, ich weiß sogar, warum.«
    »So, und warum?«
    Da tat der junge Mann etwas Seltsames: Er nahm Matwej Benzionowitschs linke Hand und kitzelte ihm

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