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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Einzelnen erzählen, was mir über den Juden namens Magellan berichtet wurde, das würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen und Ihnen mit Sicherheit nur unerfreuliche Albträume bescheren; und wer wünscht sich schon Albträume in der Nacht auf den Schabbat? Ich werde Ihnen nur das erzählen, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, und dann können Sie meinetwegen sagen ›So schlimm?‹ und grinsen, so viel Sie wollen. Recht so?« Es fröstelte Golossowker bei den unerfreulichen Erinnerungen. »Sie glauben, ich sei so meschugge, dass ich einfach mir nichts dir nichts, oder weil irgendein Kasper mir einen Schrecken einjagt, zwanzigtausend Rubel in die Sümpfe schicke? Zwei Tage sind zwei Tage, dachte ich mir, in zwei Tagen hat Gott das Licht von der Finsternis getrennt und das Land vom Wasser – da wir schon mal von Sümpfen reden. In der ›Odessaer Zeitung‹ las ich, dass diese ›Megiddo-Hadasch‹ am folgenden Tage eine Kundgebung abhalten würde, und beschloss, mir mal anzuschauen, was das für Leute sind. Im schlimmsten Falle wollte ich mich noch am selben Tag nach Shitomir absetzen, und dann könnte Monsieur Magellan mich lange suchen. Ansonsten, dachte ich, würde ich erst meine Geschäfte in Odessa abschließen und mich dann aus dem Staub machen.
    Ich ging also hin. Es war eine Kundgebung wie jede andere. Ein Jude steht auf einem Podest und schreit, und die anderen hören zu. Dann tritt ein zweiter vor und schreit auch irgendwas, und dann noch einer, der schreit lange und so laut er kann, trotzdem hört ihm kaum einer zu, weil die Juden gerne selber reden und weniger gern anderen zuhören. Und dann kam Magellan. Er sprach leise und nicht lange, aber man hörte ihm so zu, wie man bei uns in der Synagoge dem Kantor Seewson zuhört, wenn er mit seinem Chor aus Kiew kommt. Und als Magellan geendet hatte und sagte: ›Wer mit uns ist, soll die Charta unterschreiben« (sie hatten da so eine Charta, eine Schwur – oder Eides-Charta), da bildete sich eine ganze Schlange von jungen Burschen und Mädchen. Alle wollten Sümpfe trockenlegen und sich mit arabischen Banditen raufen. Da dachte ich mir: Zum Kuckuck mit meinen Geschäften in Odessa, heute noch reise ich ab nach Shitomir. Da drängte sich plötzlich Fira Dorman durch die Menge und ergriff ebenfalls das Wort. Fira Dorman kennen Sie doch, oder?«
    »Aus der Zeitung: eine amerikanische Sozialistin und Suffragette.«
    »Ich weiß nicht, was eine Suffragette ist, aber wenn das jemand ist, der sagt, dass Frauen genauso gut sind wie Männer, dann trifft das exakt auf Fira zu. Sie ging als junges Mädchen nach Amerika und schnappte dort alle möglichen albernen Ideen auf. Dann kam sie zurück, um die armen jüdischen Köpfe in Aufruhr zu versetzen, die ohnedies schon verdreht genug sind . . .
    Also, Fira trat aufs Rednerpodest – in solchen Pumphosen, kurzen struppigen Haaren und mit einer Papirossa im Mundwinkel – und fängt an zu schreien wie ein Feldwebel auf dem Exerzierplatz. ›Glaubt diesem schmock nicht, Mädchen! Er erzählt euch irgendwelche Lügen über Gleichberechtigung und neue Brüderschaft, aber ich frage euch: Was ist das denn schon für ein Wort – ›Brüderschaft‹? Wenn man von Gleichberechtigung redet, warum sagt man dann nicht ›Schwesternschaft‹? Und warum ist der Anführer der Kommune ein Mann? Darum nämlich, weil dieser Phrasendrescher euch in eine neue Sklaverei locken will! Bei uns in Amerika haben wir auch solche Leute, die kommen und wollen Kommunen gründen! Ich kann euch erzählen, wie so was ausgeht! Die armen Mädchen müssen die gleiche Arbeit machen wie die Männer, aber außerdem müssen sie noch für sie kochen, Wäsche waschen und Kinder gebären! Und wenn sie dann abgearbeitet und früh gealtert sind und all ihre Anmut und Schönheit dahin, dann holen sich diese Kerle, die eben noch ihre Brüder waren, neue Frauen, jüngere, und denen erzählen sie dann kein Wort mehr von Gleichberechtigung! ‹
    Fira schrie noch ein bisschen in dieser Art weiter, dann nahm sie auf einmal die Charta mit den Unterschriften und riss sie in kleine Stücke. Tumult und Geschrei. Dann baut sie sich vor Magellan auf und stemmt die Arme in die Seite. ›Was ist, hast du die Sprache verloren, du Ausbeuter?‹ Und er antwortet ihr, noch leiser als sonst: ›Ich bin für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Für mich sind Frauen genauso Men-sehen wie Männer. Und ich werde es dir sofort beweisen.« Und sie wieder: › Worte, nichts als

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