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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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beiden Kühe und das Pferd standen auch nicht mehr im Stall. Den feuerfesten Kasten, in dem sie ihre eiserne Reserve – dreitausend Rubel – aufbewahrten, hatten die Räuber aus der Wand herausgerissen und mitgenommen. Auch die neue amerikanische Egge, die hier in Palästina pures Gold wert war, fehlte.
    Magellan leuchtete mit seiner Lampe den Boden ab. Überall waren Abdrücke von Pferdehufen zu sehen.
    »Beschlagen«, sagte er. »Also waren es nicht die Beduinen, sondern die Tscherkessen. Sie haben wahrscheinlich auf der Lauer gelegen und gewartet, bis es dunkel wurde. Und dann kommt ihnen so ein glücklicher Zufall zu Hilfe – wir laufen ganz von selber davon und lassen auch noch das Tor offen stehen . . .«
    »Das nennt sich jüdisches Glück‹«, seufzte Kolosseum. »Was machen wir jetzt, ohne Saatgut, ohne Egge und ohne Geld?«
    Jemand schluchzte:
    »Wir müssen nach Sichron Jakov. Hier sind wir verloren . . .«
    Die einen jammerten, die anderen ballten in hilfloser Wut die Fäuste, die dritten standen nur da und ließen die Köpfe hängen.
    Malke, zum Beispiel, weinte, aber nicht aus Angst, sondern weil ihr Rahel so Leid tat. Auch um die Kühe tat es ihr Leid, vor allem um Buntscheck, die gab ganze zwei Eimer Milch.
    Magellan beteiligte sich als Einziger nicht an dem allgemeinen Gejammer. Nachdem er sich die Abdrücke der Pferdehufe angesehen hatte, ging er in den Keller, um zu prüfen, ob die Räuber die Waffen gefunden hatten.
    Als er zurückkehrte, sagte er ruhig:
    »Die Gewehre haben sie nicht gefunden. Also ist noch nicht alles verloren. Wenn sie Krieg wollen, sollen sie ihn haben.«
    »Krieg? Mit wem, mit Daniel-Beg?«, fragte Schlomo der Apotheker skeptisch.
    Jüdisches Glück 2
    Die Tscherkessen waren, so viel war bekannt, vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren nach Palästina gekommen. Der osmanische Sultan hatte sie ins Land geholt und seine treuen Baschi-Bosuks als Lohn für ihre Tapferkeit im Kampf gegen die russischen und serbischen Giaurs mit ansehnlichen Ländereien beschenkt. Diese Kaukasier hatten ihre heimischen Berge verlassen, weil sie es ablehnten, dem russischen Zaren zu dienen, und zunächst unter der grünen Flagge des großen Schamil gekämpft, bevor sie zu türkischen Kriegern wurden. Seine Osmanische Majestät Sultan Abd ül-Hamid wollte sich nach dem Vorbild seines nördlichen Nachbarn eine eigene Kosakentruppe zulegen, die seine Macht in den unruhigen Regionen seines auseinander brechenden Staatswesens stützen sollte. Als Lohn wollte er seinen Söldnern Grund und Boden geben und sie von allen Steuern und Abgaben befreien, sie im Übrigen aber sich selbst überlassen. Dann können sie ein Auge auf die rebellische arabische Bevölkerung haben, dachte der Sultan, und nebenher ihre Äcker bestellen und Schafe züchten. Aber aus diesen Baschi-Bosuks waren keine Kosaken geworden. Viel zu lange, fast hundert Jahre lang, hatten sie nur von Krieg und Überfällen gelebt und waren jeder Art friedlicher Betätigung längst entwöhnt.
    Ihre Pflicht bestand darin, auf den Wegen und Straßen für Ordnung zu sorgen. Die Tscherkessen hatten allerdings eine ganz eigene Auffassung davon, wie diese Aufgabe zu erledigen wäre – indem sie nämlich jedem Reisenden, der ihr Gebiet passierte, einen erklecklichen Obolus abknöpften. Als daraufhin die Handelskarawanen irgendwann die tscherkessischen Aule einfach umgingen und somit die Einkünfte versiegten, suchten sich die berufsmäßigen Säbelschwinger eine neue Einnahmequelle: Sie boten sich denselben Karawanen als Begleitschutztruppe an, oder sie jagten irgendwelche Verbrecher, auf deren Kopf die Staatsmacht eine Belohnung ausgesetzt hatte. Und wenn es sich gerade anbot, raubten sie wohl auch selber mal ein bisschen oder entführten betuchte Reisende und ließen sie gegen Lösegeld wieder laufen.
    Die Polizei ging den Tscherkessen nach Möglichkeit aus dem Weg, denn jeder von denen war ein geborener Krieger. Die konnten reiten wie die Götter, schießen wie die Teufel, und ihre Säbel schwangen sie wie die Verrückten.
    Der Aul, der in der Nähe der Kommune »Neu-Megiddo« gelegen war, galt als der kriegerischste von allen. Die Tscherkessen aus den anderen Siedlungen hatten sich so nach und nach an das sesshafte Leben gewöhnt und ihre räuberischen Gepflogenheiten abgelegt, im Klan des Daniel-Beg aber galt wie in alten Zeiten jede Arbeit als Schande – ein echter Dshigit sorgte ausschließlich mit Gewehr und Dolch für seinen

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