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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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schwieg er, denn er wusste nichts darauf zu antworten.
    Doktor Scherman sagte: »Auf einen Räuber kann man schießen, und manchmal hilft das sogar. Aber auf die Malaria zu schießen ist sinnlos. Warum haben Sie nur in dieser verfluchten Gegend Land gekauft, ohne uns, die Alteingesessenen, um Rat zu fragen? Dabei ist das erst der Anfang, richtig schlimm wird es im Sommer, dann ist die eigentliche Zeit des Fiebers. Sie hätten wenigstens noch ein Stück Land auf einem Hügel kaufen müssen. Sehen Sie denn nicht, dass sich die Leute hier nur auf den Anhöhen niedergelassen haben? Dort treibt der Wind die Sumpfmiasmen fort. Allerdings hätten die Araber Ihnen ohnehin kein Hügelgrundstück verkauft. Diese Schlauköpfe warten jetzt ab, bis die Malariasaison einsetzt und der größte Teil von Ihnen gestorben ist, und dann kaufen sie das Land für ein Butterbrot wieder zurück. Oder sie nehmen es sich einfach so . . . Wir Juden sind selber schuld, wir haben sie so verdorben. Früher lebten sie von ihrer Arbeit – karg, aber ehrlich, bis wir ihnen mit unserem jüdischen Geld die Köpfe verdrehten. Sie wären ja schön dumm, ihr eigenes Land zu bestellen, sie verdienen viel mehr, wenn sie unseres beackern. Und wozu sollen sie sich überhaupt abrackern, wenn es solche Dummköpfe gibt wie Sie?«
    Magellans Gesicht verfinsterte sich bei diesen Worten mehr und mehr. Er warf den anderen Kommunarden, die dieser düsteren Prophezeiung mit verzagten Gesichtern lauschten, einen Seitenblick zu. Dann bellte er los: »Mach, dass du wegkommst, du alter Rabe, hau ab hier! Wir brauchen deine Schwarzmalerei nicht!«
    Der Doktor fuhr tief gekränkt davon. Schade, er wollte nur das Beste. Trotzdem hatte Magellan das Richtige getan. Denn sie hatten doch geschworen: Und wenn wir alle dieses Land mit unseren Knochen düngen, wir werden nicht aufgeben.
    Rahel düngte nun schon das Land mit ihren Knochen, dachte Malke, und es fröstelte sie, als sie sich daran erinnerte, wie scheußlich die sumpfige Erde unter ihren Schaufeln schmatzte, als sie das Grab aushoben.
    Aber sie riss sich zusammen und sagte sich: So ist es eben. Es werden andere kommen, sie sind sogar schon unterwegs. Und wenn man mich auch bald in diesem stinkenden Morast begräbt, das ist immer noch besser, als wenn ich zu Hause geblieben und hundert Jahre alt geworden wäre. Was für ein Leben wäre das schon gewesen? Ein sinnloses Dahinvegetieren: Mann, Kinder, Alltagssorgen.
    Und außerdem ist Magellan so schön!
    »He, he, kommt schnell her!«, schrie Sascha Brün, der Posten, vom Dach des Han herunter. »Schaut mal!«
    Früher, als sie noch einen Hund hatten, brauchten sie keinen Posten aufzustellen. Magellan sagte, sie müssten sich einen neuen Hund anschaffen, aber so einen wie Polkan würden sie bestimmt nicht mehr finden.
    Alle stürzten auf den Ausguck hinauf und starrten angestrengt in die Dämmerung.
    Unten am Fluss, an der Stelle, wo sie vor wenigen Stunden Rahel begraben hatten, bewegten sich mehrere Schatten.
    »Sie wühlen das Grab auf!«, schrie Sascha. »Ich habe erst gar nicht begriffen, was sie dort tun, aber dann . . . Wirklich, sie machen es auf!«
    Alle waren in heller Aufregung und wussten nicht, was sie tun sollten. Dann kam Magellan und schrie: »Mir nach!«, und jeder griff sich, was er zu fassen kriegte, der eine ein Berdangewehr, der andere eine Axt, und rannten hinunter zu dem Eukalyptusbaum.
    Dort lag Rahel, halb von feuchter Erde bedeckt. Sie war vollkommen nackt, nicht einmal das Unterhemd hatten sie ihr gelassen.
    Magellan brüllte vor Wut, er riss seinen Revolver aus dem Halfter und stürmte mit Riesensätzen den Pfad entlang, der zum arabischen Dorf führte. Bis dorthin waren es zwei Werst.
    Malke war die Erste, die ihm nachstürzte. Sie japste und keuchte und wischte sich immer wieder die Tränen aus dem Gesicht, aber sie blieb nicht zurück, obwohl sie doch so kurze Beine hatte. Die anderen liefen hinterher.
    Als sie die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, schrie einer der Hinteren:
    »Magellan, sieh mal! Es brennt!«
    Als sie sich umwandten, sahen sie die schwarze Silhouette des Han, von roten, lodernden Flammen erleuchtet.
    Sie machten kehrt und rannten zurück, aber jetzt fiel das Laufen schon ziemlich schwer, weil sie erschöpft waren.
    Das Haus konnten sie retten, zum Glück war genug Wasser in der Zisterne gewesen. Nur das Schutzdach für die Ackergeräte war abgebrannt. Aber die Säcke mit dem Saatgut waren verschwunden, und die

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