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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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durch die sie jetzt kamen, war sehr eben und karg, er musste die Distanz zum Objekt vergrößern. In so einer kahlen Landschaft sieht man einen Menschen auf große Entfernung. Aber umgekehrt konnte er sie, Gott sei Dank, auch sehr gut sehen, entwischen konnten sie ihm nicht.
    Als dann die Fuhrwerke einen steilen Anstieg erklommen, wollte Jakow Michailowitsch sich mal was Gutes tun. Der Weg, das war von weitem deutlich zu erkennen, führte anschließend wieder in eine Talsenke hinunter, also, sagte er sich schlau: Der Weise klettert nicht auf einen Berg, wenn er ihn umgehen kann.
    Wozu sinnlos Schweiß vergießen, wenn man gemütlich außen um den Hügel herumgehen kann. Manchmal ist man eben auf zwei Beinen flinker als auf vier Rädern.
    Und vielleicht könnte er ja auf diese Art und Weise sogar ein bisschen Zeit herausschlagen. Er könnte die Füße kurz mal in den Bach halten und anschließend ein Viertelstündchen im Schatten unter den Weiden liegen und warten, bis das Objekt vorbeigefahren kommt.
    Gedacht, getan. Er nahm ein kurzes Bad, labte sich an dem frischen Wasser und hatte gerade noch Zeit, ein eiliges Mahl einzunehmen.
    Da hörte er auch schon ein Poltern und Knirschen. Rasch wischte er sich die letzten Krümel von der Hose – aha, da sind sie ja, meine Spätzchen.
    Tch-jaah, tcha-hihaah.
    Vorsichtig lugte er aus den Sträuchern hervor – und erstarrte.
    Das war ja nur ein Wagen! Und drin saß die pummelige Jüdin und wedelte mit der Peitsche, und der Rotfuchs war weg!
    Das Herz stand ihm still. Sie sind ein Vollidiot, Jakow Michailowitsch! Von wegen weise! Jetzt heißt es: nichts wie rauf auf den Berg, aber fix!
    Er duckte sich und ließ den Wagen vorbei. Die Jüdin fuhr ein Stück weiter und bog dann zum Fluss ab, anscheinend wollte sie sich auch ein wenig abkühlen.
    Jakow Michailowitsch trabte eilig bergan. Bäche von Schweiß liefen an seinem Körper herab. Nach knapp fünf Minuten hatte er den Kamm des Hügels erreicht.
    So was Dummes!
    Eine Weggabelung, das war des Rätsels schlichte Lösung. Der eine Weg führte nach rechts, der andere nach links. Und dort, kaum zu erkennen, zweigte noch ein weiterer Pfad ab, der von dichtem Gras überwuchert war. Das Gras war allerdings abgestorben und hart wie Draht, man konnte unmöglich erkennen, ob hier vor kurzem ein Wagen entlanggefahren war oder nicht.
    Was sollte er tun? In welche Richtung sollte er laufen?
    Er wandte sich an seinen Verstand, und der, der Prachtkerl, ließ ihn wie immer nicht im Stich.
    Hals über Kopf rannte Jakow Michailowitsch zum Fluß zurück (Bergrunter ging ’s Gott sei Dank leichter!).
    Die Jüdin hatte inzwischen das Pferd gewaschen und führte es gerade zurück zum Wagen.
    Sie hörte die Schritte hinter sich, drehte sich um und nahm die Schrotbüchse von der Schulter.
    »Ein Unglück, Mädchen! Ein furchtbares Unglück!«, schrie Jakow Michailowitsch schon von weitem auf Russisch.
    Sie sperrte den Mund auf: Was ist das denn, ein Araber, der auf Russisch schreit?
    Vor Schreck vergaß sie glatt, dass sie ein Gewehr in der Hand hielt.
    »Wer bist du?«, rief sie zurück. »Was denn für ein Unglück?«
    Er blieb vor ihr stehen, japste nach Luft und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
    »Ich habe sie verloren, das ist das Unglück.«
    »Wen hast du verloren? Wer bist du überhaupt?«
    »Gib erst mal das Ding her. Eh das noch losgeht. . .«
    Er griff den Lauf der Schrotbüchse. Das Mädchen wollte die Waffe nicht hergeben, aber Jakow Michailowitsch versetzte ihr einen leichten Schlag in die Magengrube, und die Jüdin klappte in der Mitte zusammen und schnappte mit offenem Mund nach Luft, wie ein Fisch, den man aus dem Wasser gezogen hat.
    Er warf das Gewehr in die Büsche, gab der Dicken einen Klaps in den Nacken, und sie plumpste auf den Hintern.
    »Mistkerl!«, sagte sie.
    Und funkelte ihn aus ihren schwarzen Augen furchtlos an.
    Ajajaj, mit der musste er sich wohl etwas länger beschäftigen, erkannte der erfahrene Jakow Michailowitsch. Also, gar nicht erst Zeit mit unnützem Geplauder vergeuden. Als Erstes musste »das Kälbchen« zur Vernunft gebracht werden, genauer gesagt: von überflüssigem Starrsinn befreit. »Das Kälbchen« – das war so ein spezieller Ausdruck von Jakow Michailowitsch: Aus einem »Kälbchen« musste man alle nützlichen Informationen herausmelken und es dann, je nach den Umständen, entweder wieder auf die Weide schicken oder eben in Beefsteak verwandeln.
    Die störrische Jüdin würde

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