Pelagia und der rote Hahn
und so mutig, wie ein richtiger Regimentshund, deswegen haben wir ihn auch Polkan genannt. Der hat so gut aufgepasst in der Nacht, dass wir gar keinen Posten aufzustellen brauchten. Wenn man den draußen am Tor angebunden hat, traute sich keiner mehr heran. So ein schwarz-gelber war das, ganz zottig, und auf einem Bein hat er gehinkt, und an der Seite . . .«
»Und was war mit diesem Propheten?«, unterbrach sie Polina Andrejewna, die sich für das Porträt des verblichenen Polkan nicht allzu sehr interessierte. »Wie kam er denn zu euch?«
»Er hat eines Abends einfach an die Tür geklopft. Wir waren gerade fertig mit der Arbeit, saßen zusammen und sangen. Wir machen das Tor auf, da steht so ein bärtiger Onkel, in Bastschuhen und mit einem Stock in der Hand. Steht da und krault Polkan hinter dem Ohr, und der wedelt mit dem Schwanz und hat nicht einmal kurz Waff gemacht. Wir konnten’s gar nicht fassen. Wahrscheinlich hat der Prophet ihn zu seinem Glauben bekehrt«, lachte Malke. »Guten Tag, gute Leute, sagt er. Wie schön Sie da singen. Sind Sie etwa Russen? Und wir: Wer bist du denn? Bist du nicht einer von den ›Findelkindern‹ des Propheten Manuila? (Er hatte nämlich auch so einen Kittel mit einem blauen Streifen an, wie ihn die Findelkinder alle tragen.) Da sagt er: Ich bin Immanuel selbst. Ich ziehe durchs Land und schaue mir alles an, in Judäa war ich und in Samaria, und jetzt gehe ich nach Galiläa. Kann ich über Nacht bei euch bleiben? Na ja, klar konnte er. Dann hab ich ihn gefragt: Sag mal, wie geht denn das? Du bist doch auf dem Dampfer ermordet worden. Bist du wieder auferstanden, oder was? Und er antwortet: Nicht ich wurde ermordet, sondern einer meiner Scheluchin.«
Polina Andrejewna fuhr auf:
»Wie bitte?«
»Scheluchin heißt auf Altaramäisch ›Apostel‹. Wenn es mehrere sind, heißt es Scheluchin, wenn es einer ist, Scheluach. Das hat Magellan erzählt, er kennt sich aus in jüdischer Geschichte, aber wie!«
Daher also das Wort »Scheluak«, dachte Pelagia. Die Bauern in Stroganowka hatten gesagt, Manuila habe seinen Freund so genannt.
»Und was hat euch Immanuel über den Mord erzählt?«
»Er hat gesagt, der Scheluach habe ihn beschützen wollen, und deshalb sei er gestorben. Aber eigentlich brauche man ihn gar nicht zu beschützen, weil Gott ihn schütze. Und dann hat er noch von einem Wunder erzählt, das ihm an demselben Morgen widerfahren sei. Ich sag dir, der log, dass sich die Balken bogen, aber man musste ihm immerzu zuhören. Mit seinen großen blauen Augen – der reinste Engel!« Malke musste gleich wieder losprusten, als sie sich an diese Geschichte erinnerte. ›Also‹ – fängt er an – ›das war, als sie mich aus Sichron Jakov fortgejagt hatten‹ . . . Dort in Sichron Jakov leben wohlhabende Juden, die von Baron Rothschild mit Geld unterstützt werden. Die bestellen ihre Felder nicht selber, sondern lassen die Fellachen für sich arbeiten . . . Jedenfalls, diese reichen Juden haben Immanuel davongejagt, sie wollten ihm nicht zuhören. Und als er da so durch ein Tal wanderte, überfiel ihn plötzlich ein Beduinen-Räuber.« Malke verstellte ihre Stimme und sprach wie ein kleines Kind mit undeutlichen, seltsam verhuschten R-Lauten. Anscheinend machte sie Manuila nach. »›Ganz böse Mann, fuchtelt immer mit seinem Säbel, und ich kann doch nicht Beduinisch sp’echen, kann ihm ga’ nicht sagen, dass ich ja nichts habe. Und dann sieht e’s selbst, da will e’ mi‘ mit seinem Säbel glatt den Kopf abschlagen. ’atsch-’atsch! O ja, ganz bestimmt hätte e’ das getan, weil sein ganzes Ne’vensystem deso’ganisie’t wa‘ . . .‹«
Malke konnte sich kaum halten vor Lachen.
»So was hat er gesagt: ›sein Nervensystem war desorganisiert ?«, fragte Pelagia verwundert.
»Ja, er spricht sowieso ganz ulkig, ich kann es bloß nicht so gut nachmachen. Also, weiter ging es wie im Märchen. Grad holt der Räuber mit seinem Säbel zum Schlag aus, da plötzlich – tam-pa-tam! – kommt ein Donner vom Himmel! Der Bösewicht fällt tot um, und aus seinem Kopf fließt Blut. ›Und kein Mensch ’ingsum – hi‘ ein Be’g, da ein Be’g, und hi’ de’ Weg. Keine Menschenseele weit und b’eit! Da dankte ich Gott, beg’ub den toten ’äuber und wande’te weite‘.‹ Wir sind fast geplatzt vor Lachen. Aber er war gar nicht beleidigt, dieser Immanuel, er hat einfach mitgelacht.«
»Und Magellan?«, fragte die Nonne. Sie wollte hinzufügen, ob er sich nicht
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