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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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hervor, nahm die Karte heraus und faltete sie auseinander.
    »Zeig mir, wo das Tal Siddim liegt und wie man dorthin kommt.«
    »Was willst du denn da?«, fragte Malke verwundert, aber sie nahm den Bleistift, guckte sich die Karte an und zog dann einen Strich. »So, zuerst hier entlang bis zum Jordan. Dann runter zum Toten Meer, und von dort immer am Ufer entlang nach Süden. Siehst du diesen Kreis? Das ist die Siedlung Bet-Kebir. Sodom liegt irgendwo dahinter. Nein, wirklich, Pola, was willst du da? Eine Nonne, und dann nach Sodom!«, rief Malke und kicherte wieder los. »Russland, sag, wohin fliegst du? Doch es gibt nicht Antwort.«
    Pelagia faltete die Karte sorgfältig zusammen und legte sie wieder in das Buch.
    »Willst du da wirklich hin?« Malkes Augen wurden groß vor Schreck und Neugier. »Du bist mir aber eine Draufgängerin! Ich kann mir bildhaft vorstellen, wie es da vor sich geht! Schickst du mir einen Brief, ja? Aber ausführlich!«
    Sie stieß Pelagia mit dem Ellbogen an und kicherte.
    Von dem Stoß fiel der Reiseführer auf den Boden des Wagens. Die Nonne hob das kostbare Büchlein auf und barg es in ihrer Tasche.
    Währenddessen hatte das Fuhrwerk den höchsten Punkt des Hügels erreicht, von dem aus sich ein weiter Blick über das Tal und die umliegenden Berge öffnete.
    »Da sieht man schon unseren Han!« Malke erhob sich ein wenig von ihrem Sitz und zeigte nach vorne. »Jetzt noch den Hügel hinab und ein Stück am Fluss entlang. In einer Dreiviertelstunde sind wir da. Dann kannst du dich waschen und ausruhen.«
    »Nein, danke.« Polina Andrejewna sprang vom Wagen herunter. »Ich muss weiter. Sag mal, in welche Richtung muss ich fahren, um zum Jordan zu kommen?«
    Malke seufzte, offensichtlich bedauerte sie, sich schon von Pelagia trennen zu müssen.
    »Fahr auf dem Nebenweg weiter. Er ist zwar ziemlich holprig und führt durch hohes Gras, aber dafür kommst du bald an eine Weggabelung, dort biegst du nach rechts ab, da geht es zum Jordan. Aber was ist mit den Räubern? Du hast doch gesagt, du hast Angst ohne Begleitschutz?«
    »Egal«, antwortete Pelagia zerstreut. »Gott ist barmherzig.«
    Gott existiert!
    Von Jerusalem aus führte nur ein Weg in die Jesreelebene, sodass er das Objekt schon am ersten Tag einholte. Jakow Michailowitsch folgte in sicherem Abstand, marschierte mit festem Schritt fürbass und sog die frische Bergluft tief in die Lungen.
    Ein kräftiges Sönnchen brannte hier im Heiligen Land, alle Achtung, er war schon braun wie ein Araber. Aber eigentlich passte ihm das ganz gut, denn er hatte sich für diesen Teil der Reise ja auch als Araber verkleidet. Das war in jedem Fall die angenehmste Lösung bei diesem Klima: Durch das lange, dünne Hemd pustete der Wind, und das Tuch (»Kufija« nannte sich das) schützte Hals und Hinterkopf vor der sengenden Sonne.
    Wenn ihm unterwegs jemand begegnete und ihn auf Arabisch ansprach, legte Jakow Michailowitsch die Hand an Stirn und Brust, verneigte sich schweigend bis zur Erde und schritt dann gemessen seines Weges. Das konnte man dann verstehen, wie man wollte: Vielleicht sprach er ja nicht mit jedem, oder er hatte ein Gelübde getan, leerem Alltagsgeschwätz entsagt und so weiter.
    Doch am dritten Tag ereignete sich ein unerfreulicher Zwischenfall, kurz nachdem die Rothaarige in einen Weg abgebogen war, der sich durch eine weite Hügellandschaft hinzog.
    Jakow Michailowitsch sah, wie die Tscherkessen sich den Hantur schnappten, aber es fiel ihm nicht ein, sich einzumischen. Vor diesen Leuten musste man sich in Acht nehmen, die hatten immerhin Karabiner, und er nur so ein Pupsding mit sechs Patronen: eine feine Sache in der Stadt, wo man hinter jeder Ecke in Deckung gehen kann, aber auf freiem Feld ziemlich nutzlos. Und außerdem durfte er nicht gesehen werden.
    Seit dem Abend lag er dann bei dem Tscherkessenhügel auf der Lauer und beobachtete die ganze jüdische Operation. Donnerwetter, dachte er, die legen ja richtig los. Nicht dass die am Ende in unserem Mütterchen Russland auch noch so kess werden.
    Getreu der Volksweisheit »Eile mit Weile« ging Jakow Michailowitsch die Sache ganz in Ruhe an. Er wartete geduldig, bis sich die Tscherkessen mit den Juden geeinigt hatten und gemeinsam davongezogen waren, und bald darauf hatte sich alles auf wunderbare Weise geregelt.
    Die Nonne kam in Begleitung eines pummeligen Mädchens aus dem Aul herausgefahren, ihren treuen Araber im Schlepptau. Alles war wieder in bester Ordnung.
    Die Gegend,

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