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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Geldbörse verschwinden.
    Der Staatsanwalt konnte es immer noch nicht fassen. War das denn die Möglichkeit?
    Und da fiel es ihm siedend heiß ein. Ja, genau! Pelagia hatte doch erzählt, auf dem Dampfer habe sich eine ganze Gesellschaft von Homosexuellen befunden, die auf dem Weg in das neu erbaute Sodom waren. Aber das . . . aber das gab der Ermittlung ja eine völlig andere Richtung!
    Der Staatsrat packte den jungen Mann am Ellenbogen.
    »Aber Sie haben mir noch nicht verraten, wer ihn nun freigekauft hat.«
    »Ganz sicher weiß ich es nicht, aber ich bin so gut wie überzeugt, dass es Tscharnokuzki war, sonst kommt eigentlich niemand in Frage.«
    »Und wer ist dieser Tscharnokuzki?«
    »Sie haben noch nie vom Fürsten Tscharnokuzki gehört?«, fragte Kescha argwöhnisch.
    »Doch, das ist ein vornehmer polnischer Name.«
    »Vornehm? Das ist wohl eine gelinde Untertreibung! Die Tscharnokuzkis sind die reichste Familie in ganz Wolhynien. Zwanzig Werst von hier beginnt der Tschornokutsker Bezirk, und die Bezirksstadt Tschorny Kut befindet sich komplett im Besitz des Grafen.«
    »Die ganze Stadt? So etwas gibt es?«, rief Matwej Benzionowitsch erstaunt. »Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter.«
    »In Wolhynien gibt es das sehr wohl noch. Die Stadt Rowno, zum Beispiel, gehört dem Fürsten Ljubomirski, Alt-Konstantinow der Fürstin Abamelek, Dubno der Fürstin Barjatinskaja. Und die Tscharnokuzkis sind schon seit siebenhundert Jahren in Wolhynien ansässig. Sehen Sie diese Klippen dort?« Kescha deutete auf ein Gesteinsmassiv, das in der Ferne malerisch über dem Fluss aufragte. »Das ist Shitomirs große Sehenswürdigkeit. ›Tschazkis Kopf‹ heißt das.«
    Der Fels gemahnte tatsächlich an ein stolz erhobenes Haupt.
    »Und was hat dieser Felsen mit Tschazki zu tun?«
    »Gar nichts. Früher hieß er ›Tscharnokuzkis Kopf‹. Im sechzehnten Jahrhundert wurde ein Vorfahre des heutigen Fürsten von den Hajdamaken geköpft. Aber nach dem drei-undsechziger Jahr hat man den Felsen umbenannt. Es ging darum, dass mehrere Angehörige der Familie Tscharnokuzki am polnischen Aufstand beteiligt waren, und einen von ihnen hat es den Kopf gekostet. Jedenfalls hat man dann den Stein in ›Tschazkis Kopf‹ umbenannt, um irgendwelche Zweideutigkeiten zu vermeiden.«
    »Also gehörte der Graf zu den Aufständischen von 1863?«
    »Ach was! Seine Erlaucht hat ganz andere Interessen. So ziemlich die gleichen wie Sie und ich.« Der Kontorist lachte. »Schade, dass er Juden nicht ausstehen kann, sonst hätte ich Sie unbedingt mit ihm bekannt gemacht.«
    »Aber ich bin ja gar kein Jude«, behauptete Berditschewski. »Ich habe mich nur als Jude ausgegeben, um Golossowkers Vertrauen zu gewinnen.«
    »Das haben Sie allerdings ziemlich gut gemacht«, bemerkte Kescha und betrachtete skeptisch das Gesicht des Staatsanwalts.
    »Nein, wirklich! Die Haare sind gefärbt. Eigentlich bin ich blond. Wenn Sie mich zu dem Grafen bringen, werde ich die Farbe auswaschen. Mein Name ist auch keineswegs Mordechaj Berditschewski, sondern Matwej Berg-Ditschewski. Und wie Sie ganz richtig vermutet haben, bin ich auch alles andere als ein Wucherer. Ich . . . ich bin Bezirks-Adelsmarschall«, log Matwej Benzionowitsch, dem auf die Schnelle nichts Aristokratischeres einfiel. »Aus dem Gouvernement Sawolshsk.«
    Ob ihm der junge Mann nun glaubte oder nicht, war nicht zu erkennen. Doch nach kurzem Nachdenken sagte er:
    »Zweihundert Rubel.«
    »Sie sind verrückt!«, stöhnte der Staatsrat und überlegte, ob er so viel Geld überhaupt dabei hatte. Schlimmstenfalls konnte er ein Telegramm an den Bischof aufgeben.
    »Sie geben mir das Geld, wenn wir dort waren. Sollte ich falsch liegen, und der Graf hat Razewitsch gar nicht freigekauft, zahlen Sie gar nichts«, köderte der geschäftstüchtige junge Mann geschickt.
    Diese Konditionen schienen Matwej Benzionowitsch wiederum sehr akzeptabel. Sollte sich die Spur als richtig erweisen, würde man die Reise wohl als Erfolg bezeichnen können, und in dem Falle ließen sich diese Kosten sicher doch noch als Spesen verbuchen.
    »Wo sind Sie abgestiegen?«, fragte Kescha.
    »Im ›Versailles‹.«
    »Ich schließe die Kasse um sieben. Aber seien Sie nicht zu geizig, mieten Sie eine Kalesche mit guter Federung, sonst sind wir grün und blau, wenn wir dort ankommen. Ich werde mit Semjon Potschtarenko verhandeln, der hat eine gute Equipage. Es ist ein ziemlich weiter Weg . . .«
    Gedanken über die traurige Zukunft der

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