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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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feindselig gegenüber dem Propheten verhalten habe, aber sie traute sich nicht.
    »Na, Magellan war zuerst ziemlich streng. Er hat so eine Art Verhör mit ihm geführt. Was willst du hier?, hat er gefragt. Auf dem Dampfer waren lauter Leute von dir, und jetzt bist du auf einmal selber da. Was willst du von uns? Und so weiter. Und Immanuel: Dass ihr meine Scheluchin auf dem Dampfer getroffen habt, darüber braucht ihr euch nicht zu wundern. Viele von ihnen folgen mir ins Gelobte Land, obwohl ich ihnen doch gesagt habe: Dort, wo ein Mensch geboren ist, da ist auch sein Gelobtes Land. Was wollen sie in Palästina? Bei mir ist das was anderes, ich habe hier eine Aufgabe zu erfüllen. Aber sie hören mir nicht zu, das heißt, sie hören schon zu, aber sie hören dann nicht auf mich. Und dass wir uns hier treffen, ist ja auch kein so großes Wunder. Palästina ist ein kleines Land, und wenn jemand es durchwandern will . . . Ach nein«, lachte Malke. »Er sagte: ›durch das Land voyagieren will‹, Wenn jemand sich vorgenommen hat, ›durch das Land zu voyagieren‹, sagt er, dann kommt er in kürzester Zeit an jeden Ort. Und danach hat Immanuel von seinem Wunder erzählt, und Magellan hat sich nicht mehr für ihn interessiert. Er winkte kurz einen Gruß und ging schlafen.«
    »Also war er es nicht«, sagte Pelagia nachdenklich.
    »Wie?«
    »Nein, nein, nichts. Was hat der Prophet sonst noch erzählt?«
    »Auf einmal gab es ein schreckliches Durcheinander.« Malke wurde ernster. »Polkan fing draußen an zu bellen. Wir dachten zuerst, das wären Schakale. Dann hörten wir, wie sich das Bellen entfernte; er hat die Leine zerrissen, dachten wir. Also sind wir nach draußen und haben immerzu gerufen: Polkan, Polkan!, und sind ihm hinterhergelaufen. Und da liegt er tot auf der Erde, kaum hundert Schritte vom Han entfernt. Sie haben ihn mit einem Säbel erschlagen. Das waren gar keine Schakale, sondern die Araber oder diese Tscherkessen. Die Beduinen waren damals ja schon weitergezogen . . . Wir haben Magellan geweckt, und er hat gesagt: Los, ihnen nach! Tja, bloß wie? In welche Richtung sollten wir laufen? Zu den Arabern oder zu den Tscherkessen? Alle redeten durcheinander, ein paar sagten, wir sind zu wenig, sie zu viele, sie schlachten uns ab wie Polkan! Hier ist ein böser Ort, wir müssen hier weg, und so weiter. Magellan antwortete ihnen: ›Wer sich nicht selbst verteidigen kann, für den ist jeder Ort auf der Welt ein böser Ort.‹ Und so ging es immer weiter.« Das Mädchen winkte ab. Aber plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie schlug aufgeregt die Hände zusammen. »Ach, ja! Immanuel hat noch etwas ganz Sonderbares gesagt. Wie konnte ich das bloß vergessen! In dem ganzen Durcheinander hatte niemand mehr auf ihn geachtet, und auf einmal sagt er: Ihr werdet die Araber besiegen, und die Tscherkessen auch. Ihr seid zwar wenig, doch ihr seid stark. Aber euer Sieg, sagte er – das heißt, er sagte nicht ›Sieg‹, sondern ›Viktoria‹ –, wird eure Niederlage sein. Wir fragten ihn: Wie kann denn ein Sieg eine Niederlage sein? Da antwortete er etwas, das ich nicht verstand, er sagte: Ein Sieg über einen anderen Menschen ist immer eine Niederlage. Die echte Viktoria ist, wenn man sich selbst besiegt. Na jedenfalls, die anderen hörten ihm schon nicht mehr zu und fingen wieder an zu streiten. Aber jetzt sieht man ja, dass er Recht hatte mit dem Sieg!«
    »Und dann, was passierte dann?«
    »Nichts. Am Morgen trank er etwas Milch und ging seiner Wege.«
    »Und er hat nicht gesagt, wohin?«
    »Doch, natürlich! Er ist sehr gesprächig. Rahel hat ihm Milch eingegossen, und er hat gesagt: Zuerst gehe ich nach Kapernaum, dann noch irgendwohin, und dann muss ich in das Tal Siddim, in den Abarim-Bergen – dort soll ein neues Sodom aufgebaut worden sein, das will ich mir ansehen . . .«
    »Sodom!«, rief Polina Andrejewna. »Und wo sind diese Abarim-Berge?«
    »Hinter dem Toten Meer.«
    »Sodom! Sodom!«, sagte die Nonne immer wieder aufgeregt.
    Auf dem Dampfer war eine Familie von Homosexuellen gewesen, die dorthin reisen wollten! Aber was sollte Glasauge damit zu tun haben? Sehr nebulös. Trotzdem, es musste eine Verbindung geben!
    Ganze acht Tage waren inzwischen schon vergangen, aber wenn Immanuel zuerst nach Kapernaum wollte, hatte sie vielleicht doch noch eine Chance, rechtzeitig dort zu sein. Obwohl er sehr flink unterwegs war . . .
    »Was murmelst du da vor dich hin, Pola?«
    Polina Andrejewna zog ihren Reiseführer

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