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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Menschheit
    Wieder einmal nahm der Staatsrat die Hilfe des »blonden Engels« in Anspruch. Allerdings gelang die Herstellung der gewünschten Hellhaarigkeit nicht zur Gänze. Stattdessen kam etwas vage Rotgoldenes dabei heraus. Nun ja, halb so schlimm, am Abend und bei künstlichem Licht wird ’s schon gehen, sagte sich Berditschewski und beunruhigte sich nicht.
    Kescha erschien pünktlich in einem ganz respektablen Phaethon, für welchen der Staatsanwalt allerdings acht Silberrubel hinlegen musste. Der Handlungsgehilfe war kaum wieder zu erkennen. Er war nach der neuesten Mode herausgeputzt, fein parfümiert, und sein Haar glänzte, dass man sich darin spiegeln konnte. Wenn man ihn so sah, wäre man nie darauf gekommen, dass dieser Stutzer sich bei einem kleinen jüdischen Geldverleiher als Schabbat-Aushilfe ein Zubrot verdiente.
    »Also, wohin fahren wir?«, fragte Matwej Benzionowitsch, nachdem er es sich auf dem gepolsterten Sitz bequem gemacht hatte.
    »Zum Schloss des Grafen, nach ›Schwarzeneck‹.«
    »Schwarzeneck?«, wunderte sich der Staatsanwalt.
    »Ja, so heißt es. Auf wolhynisch ›Tschorny Kut‹, auf Großrussisch ›Tschorny Sakut‹, oder so ähnlich. Der Großvater Seiner Erlaucht hat es im gotischen Stil erbauen lassen. Er war ein großer Liebhaber von Ritterromanen.«
    Berditschewski hatte inzwischen schon den Portier seines Hotels über den Grafen ausgefragt, aber er hatte bloß die wildesten Legenden aufgetischt bekommen – wodurch freilich seine Neugierde nur umso größer geworden war. Ihm blieb nichts anderes übrig, als selber nachzuprüfen, was an diesen Räuberpistolen dran war.
    »Dieser Magnat ist wohl ein sehr ungewöhnlicher Mensch?«, fragte Matwej Benzionowitsch in leichtem Ton.
    Kescha prustete los.
    »Uns kann man auch nicht gerade als gewöhnlich bezeichnen, finden Sie etwa nicht? Aber natürlich nicht zu vergleichen mit Seiner Erlaucht. Dieses Subjekt ist allerdings einzig in seiner Art.«
    Inzwischen sehr begierig nach weiteren Einzelheiten, bemerkte der Staatsanwalt mit tiefsinniger Miene:
    »Den Abkömmlingen alter Familien liegt wohl die Neigung zur Homosexualität im Blut. Vermutlich aus purem Snobismus. Oder es handelt sich um eine Folgeerscheinung der Degeneration.«
    »Oh, der Graf hat sich durchaus nicht immer für Knaben interessiert! In seiner Jugend war er im Gegenteil sehr vom weiblichen Geschlecht angetan, quasi bis zum Wahnsinn, oder, wie er sich ausdrückt, bis zur Obsession. Das ist ein Terminus aus der Medizin, er bedeutet so etwas Ähnliches wie eine fixe Idee.«
    »Ich weiß.«
    »Er ist nämlich von Haus aus Mediziner. Sein Interesse für Frauen war so groß, dass er nach seinem Ausscheiden aus dem Pagenkorps nicht zur Garde ging und auch nicht in den diplomatischen Dienst eintrat, sondern sich dem Studium der Medizin widmete, genauer gesagt, der Gynäkologie. Nicht aus materiellen Gründen, versteht sich. Er sagt, er wollte einfach alles über die Frauen wissen: wie sie konstruiert sind, wie es in ihrem Inneren aussieht, mit welchem Schlüssel man sie aufziehen kann. Tja, und er hat sie in allen Einzelheiten kennen gelernt.« Wieder fing Kescha an zu kichern. »Aber anscheinend war das zu viel des Guten. Als er von der Universität kam, hat er eine Frauenklinik eröffnet, aber das hat er bald wieder aufgegeben. Jetzt kann er keine Weiber mehr sehen, sie bereiten ihm förmlich Magenkrämpfe.«
    Diesbezüglich besaß Matwej Benzionowitsch allerdings etwas andere Informationen. Der Portier hatte ihm Folgendes berichtet: »Bevor er seinen Spleen kriegte, hat der Graf ein Krankenhaus geleitet. Dort hat er Frauen kostenlos behandelt. Aber dann hat er eine bei einer Operation abgemurkst, und dann noch eine, und dann eine dritte. Er kam vors Gericht. Einen normalen Doktor hätten sie bestimmt verurteilt, aber der ist ja ein großer Mann, ein Tscharnokuzki. Er musste bloß das Krankenhaus zumachen.«
    »Anschließend ging Seine Erlaucht auf Reisen«, setzte Kescha seine Erzählung fort. »Er zog lange Zeit in der ganzen Welt herum. Wo er nicht überall gewesen ist – in Amazonien, in Niederländisch-Ost-Indien, bei den Papuas. Er hat eine Riesensammlung zu Hause, Sie werden selber sehen.«
    Auch von dieser Sammlung hatte Berditschewski schon gehört: Angeblich gab es dort Glasgefäße, in denen abgeschnittene Köpfe aufbewahrt wurden. »Die hat er wohl von den Wilden mitgebracht, oder wer weiß woher«, hatte der Portier gesagt.
    »Irgendwann wurde dem Grafen

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