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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Herrgott zerstört hat, zusammen mit Gomorrha?«
    »Es war zerstört, aber es wurde wieder aufgebaut. Mister George Sirus, der amerikanische Millionär und bekannte Philanthrop, hat den Ort, an dem das biblische Sodom einst stand, ausfindig gemacht, und jetzt entsteht dort eine paradiesische Stadt für solche wie uns, wo man uns nicht ächtet oder verfolgt. Und ganz ohne Frauen«, fügte er mit einem schelmischen Lächeln hinzu. »Wer als Frau geboren ist, kann ohnehin nie so eine Frau werden wie ein Mann. Obwohl, ein bisschen was gibt’s bei euch natürlich auch zu sehen.« Der ehemalige Humanist taxierte die Figur der Nonne. »Die Brüste sind nicht das Problem, die kann man aus Watte machen, aber die Schultern und die Hüften . . .«
    »Irodiada! Wo bleibst du denn?«, tönte eine kräftige Stimme aus dem Nebel. »Die Kinder wollen zurück in die Kabine!«
    »Ich komme, Schatz, ich komme!«, rief Irodiada erschrocken und folgte eilig dem Rufe ihres Liebsten.
    Was für sonderbare Geschöpfe gibt es doch auf Gottes Erde, dachte Pelagia und schloss zu Mitrofani auf.
    Der Bischof war inzwischen vom passiven Zuhören zur aktiven Tat übergegangen. Mit dräuend erhobener Hand sprach er zu einem graubärtigen Rabbiner, der von einer Schar seiner Eleven umgeben war.
    Weshalb der Streit entbrannt war, konnte Pelagia nicht ersehen. Wahrscheinlich hatte der Bischof in seinem üblichen Wissensdrang angefangen, die Juden auszufragen – wohin die Reise gehe, wodurch sie veranlasst sei, ob aus Not oder aus Gründen des Glaubens, oder ob sie sich etwa auf der Flucht vor ungerechter Verfolgung befänden und so weiter und so fort, und dann war er mit seinem jüdischen Konfrater irgendwie aneinander geraten.
    ». . . und deshalb nämlich jagt man euch überall fort, weil ihr ein Übermaß an Stolz besitzt!«, polterte der Bischof.
    Der Alttestamentler antwortete ihm nicht weniger donnernd:
    »Ja, wir haben unseren Stolz, das ist wahr! Und der Mensch soll stolz sein, denn er ist die Krone der Schöpfung!«
    »Aber ihr seid nicht stolz, sondern hochmütig! Ihr verachtet jeden, der nicht ist wie ihr, ihr habt Angst, euch an anderen Menschen zu beschmutzen, ihr ekelt euch vor ihnen! Ihr braucht euch gar nicht zu wundern, wenn euch niemand liebt!«
    »Nicht vor den Menschen ekeln wir uns, sondern vor dem menschlichen Schmutz! Und was die Liebe betrifft, so hat König David gesagt: ›Mit Worten voll Hass umringen sie mich und bekämpfen mich ohne Grund. Für meine Liebe klagen sie mich an; ich aber bete für sie.‹«
    Mitrofani, von dem Widerstand aufgestachelt, rief: »Wen liebt ihr denn, außer euresgleichen? Sogar eure Propheten haben nur zu den Hebräern gesprochen, unsere Heiligen aber haben für das Wohl der ganzen Menschheit gelitten!«
    Pelagia dachte: Schade, dass der Oberprokuror nicht hört, wie der Bischof sich hier gegen die Andersgläubigen ereifert, er hätte bestimmt seine Freude daran gehabt.
    Es war sehr interessant, diesem Disput zuzuhören, aber noch interessanter war es, dabei zuzusehen. Denn bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Religionen waren sich die beiden Opponenten sowohl in puncto Temperament als auch bezüglich ihrer äußeren Erscheinung verblüffend ähnlich.
    »Wir wenden uns nicht von der Menschheit ab!«, rief der Rabbi und schüttelte seinen grauen Bart. »Aber wir vergessen nicht, dass uns eine schwere Bürde auferlegt wurde – den anderen Völkern ein Beispiel des Glaubens und der Reinheit zu sein. Und wir nehmen jeden mit offenen Armen auf, der rein sein will. Sogar Sie, wenn Sie es wollen!«
    »Das ist nicht wahr!«, hielt Mitrofani triumphierend dagegen, und sein Bart begann ebenfalls zu hüpfen. »Diese verirrten Lämmer da, zum Beispiel, die man ›Findelkinder‹ nennt« und er deutete auf drei Stromer, die in närrische Kittel mit blauem Besatz gekleidet einige Schritte von ihnen entfernt saßen – »haben sich von Christus losgesagt und sind zu Ihrem Glauben übergetreten. Und? Haben Sie sie mit offenen Armen aufgenommen, verehrter Rabbi? Nein, Sie rümpfen die Nase!«
    Der Rabbiner schnappte entrüstet nach Luft.
    »Die . . . die sollen wir aufnehmen?! Dreimal pfui und noch einmal pfui auf sie und ihren falschen Propheten! Im Buch Moses steht: ›Ist in einem Mann oder Weib ein Wahrsagegeist, so sollen sie des Todes sterben. Steinigen soll man sie, Blutschuld belastet sie.‹ O ja, ich weiß Bescheid. Sie, die christlichen Kleriker, schmieden ein Komplott gegen uns. Sie benutzen diesen

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