Pelagia und der rote Hahn
historischen Fakultät. Also müssen auch wir damit auskommen, weil wir ja jetzt auch Ackerbauern sind. Außerdem brauchen wir doch das Geld in Palästina, wir müssen Vieh kaufen und Sümpfe trockenlegen und Häuser bauen.«
Pelagia betrachtete den schmächtigen Kolosseum. Wie sollte so ein Hänfling denn die Hacke schwingen oder den Pflug führen?
»Und warum heißt er Kolosseum? Besonders groß ist er ja nicht gerade.«
»Eigentlich heißt er Fira Gluskin. Magellan hat ihn Kolosseum getauft, weil man doch immer sagt: ›die Ruinen des Kolosseums‹, ›die Ruinen des Kolosseums‹. Und Fira ist wirklich kein Mensch, sondern eine wandelnde Ruine, er hat alle Krankheiten der Welt: Rückgratverkrümmung, Plattfüße, Stirnhöhlenentzündung. Trotzdem fährt er mit.«
Der Gegenstand ihrer Erörterung spürte den mitleidigen Blick der Nonne und rief fröhlich herüber:
»He, Schwester, fahren Sie mit uns nach Palästina!«
»Ich bin aber doch gar keine Jüdin«, stotterte Pelagia verlegen, als sie sah, dass die ganze Gesellschaft zu ihr herschaute. »Und ich werde wohl kaum jemals eine werden.«
»Das brauchen Sie auch gar nicht«, lachte einer der Kommunarden. »Es gibt sowieso schon genug Pseudojuden. Da brauchen Sie sich nur die da angucken!«
Alle wandten sich um und fielen in sein Gelächter ein. In einiger Entfernung vollführten die drei »Findelkinder«, die Häupter mit Gebetsschals bedeckt, bodentiefe Verbeugungen. Ihre Stirnen klatschten mit inbrünstigen, kräftigen Schlägen auf das Deck.
»Da gibt es nichts zu lachen, ihr Dummköpfe«, knurrte Magellan. »Das riecht doch auf hundert Klafter nach Geheimpolizei. Dieser Manuila bezieht seinen Sold in der Garochowaja, dafür habe ich eine Nase. Man sollte ihn an den Füßen packen und dann mit dem Schädel immer auf den Poller, diesen Haderlumpen . . .«
Die Zionisten verstummten. Pelagia taten die »Findelkinder« Leid, niemand mochte sie, die Armen, alle hackten auf ihnen herum. Das waren keine »Findelkinder«, sondern Waisenkinder. Apropos, woher hatten sie eigentlich diesen merkwürdigen Namen?
Sie wollte schon hingehen und sie fragen, aber dann besann sie sich und sah davon ab – die Leute waren schließlich beim Gebet. Außerdem trödelte sie schon viel zu lange herum, Seine Eminenz würde bestimmt ärgerlich sein. Sie sollte sich wenigstens kurz bei ihm sehen lassen und ihm einen guten Abend wünschen, dann konnte sie sich in ihre Kabine in der zweiten Klasse zurückziehen und vielleicht ein Buch lesen oder sich auf den Unterricht vorbereiten. Morgen würden sie schon zu Hause sein.
Sie stieg die Treppe hinunter zum Kabinendeck.
Glasauge
Über dem Nebel, der den Fluss und die überschwemmten Ufer verhüllte, loderte jetzt wahrscheinlich schon das Abendrot. Zumindest hatte der Dunst vor ihnen eine rosa Färbung. Von diesem magischen Schimmer angezogen, begab sich Pelagia zum Bug des Dampfers. Vielleicht riss ja der Wind eine Bresche in den nervtötenden Schleier, und man konnte wenigstens für einen Augenblick den Abendhimmel genießen.
Am Bug ging tatsächlich ein leichter Wind, aber er war nicht stark genug, um dem Sonnenuntergang einen Durchschlupf zu verschaffen. Pelagia wollte gerade wieder umdrehen, als sie plötzlich merkte, dass sie nicht allein war.
Wenige Schritte vor ihr saß ein Mann in einem Korbstuhl. Er hatte seine langen Beine, die in hohen Stiefeln steckten, auf die Reling gelegt. Sie sah einen geraden Rücken, breite Schultern und eine Schirmmütze mit ausgebeultem Deckel. Der Mann zog an einer Papirossa und stieß eine Rauchwolke aus, die sich augenblicklich im Nebel auflöste.
Plötzlich drehte er sich um – abrupt, mit katzenhafter Schnelligkeit. Vielleicht hatte er ihren Atem oder das Rascheln ihrer Kutte gehört.
Ein schmales, dreieckiges Gesicht mit seitwärts abstehendem, spitz gezwirbeltem Schnurrbart schaute Pelagia an. Irgendetwas im Blick des Unbekannten kam der Nonne seltsam vor: als sehe der Mann sie an, aber irgendwie auch nicht. Verlegen, weil sie die Einsamkeit des Rauchers gestört hatte, murmelte sie:
»Verzeihen Sie bitte . . .«
Dazu machte sie eine linkische Verbeugung, die natürlich vollkommen überflüssig war, umso mehr, da es der Schnurrbärtige nicht für nötig hielt, ihre Höflichkeitsgeste zu erwidern.
Im Gegenteil – ehe sie sich versah, spielte er ihr einen hässlichen Streich: Er fletschte die Zähne zu einem breiten Grinsen, führte eine Hand zum Auge und – o Schreck – nahm
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