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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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machte einen lauten Knacks.
    Und für die Zukunft nahm er sich vor: Keine Mitleidsphilosophie mehr. Sonst wird am Ende noch ein zweiter Doktor Haas aus dir.
    Hinter der Pforte befand sich ein verwahrlostes Grundstück mit ein paar krummen Bäumen. Wer war wohl auf die blöde Idee gekommen, um so ein nutzloses Gelände so einen guten Zaun zu bauen?
    Jakow Michailowitsch sah sofort, dass niemand mehr in dem Garten war, aber er ließ sich dadurch nicht verunsichern. Aufmerksam schritt er die Umzäunung ab und hielt nach einem zweiten Ausgang Ausschau. Eine Tür fand er zwar nicht, aber dafür entdeckte er ein Brett, das man zur Seite geschoben hatte. Also hier waren sie durch, die beiden Täubchen, eine andere Möglichkeit gab es nicht.
    Er überquerte den Klosterhof und gelangte auf die steil ansteigende Gasse. Dort ließ er sich auf den Boden fallen und presste das Ohr an die Erde.
    Die Geräusche der Schritte kamen von rechts. Er folgte ihnen.
    Ah, da sind sie ja schon, meine beiden Goldstückchen. Ein größerer Schatten, das ist Manuila, und ein kleinerer, weiblicher – man sieht, wie der Kleidersaum über den Boden fegt.
    Und hier, verehrte Objekte, komme ich – euer Xenofontow.
    Seine Hand verschwand in der Rocktasche und brachte einen Revolver zum Vorschein. Hier gab es nichts zu überlegen und nichts zu klügeln, der Ort war geradezu ideal: keine Menschenseele weit und breit, nirgendwo ein Lichtlein. Also keine Umstände. Wer sollte hier schon eine Untersuchung anstellen?
    Sie einholen und erst ihm eins – paff – in den Hinterkopf und dann – paff – ihr eins. Und dann – paff, paff – noch mal jedem eins, zur Sicherheit.
    Trotzdem hatte es Jakow Michailowitsch nicht eilig.
    Erstens war der Augenblick viel zu schön, er sollte ruhig noch ein wenig verweilen – wie ein großer Literat mal gesagt hat.
    Zweitens war er neugierig, wo sie da wohl hinkraxelten. Was wollten sie eigentlich da oben auf dem Ölberg?
    Der Prophet und die Nonne bogen in einen Hof ein.
    Jakow Michailowitsch beobachtete über den Zaun hinweg, wie Manuila einen Haufen Müll beiseite schob. Er machte einen langen Hals: War da etwa ein Schatz? Bei diesem Gedanken brach ihm glatt der Schweiß aus.
    Dann verschwanden beide, der komische Clown und der Rotfuchs, in einer Grube.
    Sehr liebenswürdig von den beiden, dachte Jakow Michailowitsch beifällig. Da brauchte er anschließend nur die Grube wieder zuzuschütten, und alles war picobello.
    Er stieg in das Loch und ging dem Licht der Fackel nach.
    Die Waffe hielt er im Anschlag.
    Manuila bemerkte den aus dem Dunkel auftauchenden Jakow Michailowitsch und starrte ihn über den Scheitel des Rotfuchses hinweg an. Aber die Nonne bekam überhaupt nichts mit, die blieb so stehen, wie sie stand, mit dem Rücken zu ihm.
    Nervös zupfte sie sich mit der Hand am Ohrläppchen und fragte mit zitternder Stimme:
    »Sie waren . . . dort ?«

DRITTER TEIL
    Dort

XVI
    Das Evangelium der Pelagia
    Ein Brief aus dem Jenseits
    Zuerst kam eine telegrafische Nachricht, dann ein Brief.
    Die amtliche Depesche aus dem Justizministerium an die Kanzlei des Gouverneurs von Sawolshsk teilte mit lakonischem Bedauern mit, der Wirkliche Staatsrat Berditschewski sei in Sankt Petersburg unerwartet einem Herzanfall erlegen.
    Im ersten Moment blitzte da noch die schwache Hoffnung auf, es könnte sich um ein Missverständnis handeln, denn Matwej Benzionowitsch war ja nur einfacher Staatsrat – nicht »Wirklicher« –, aber dem ersten Telegramm folgte ein zweites: Der Leichnam werde, auf Staatskosten, mit dem und dem Zug überführt und dann und dann auf der Sawolshsk am nächsten gelegenen Eisenbahnstation eintreffen.
    Nun, man jammerte und klagte, und mancher vergoss auch ein paar Tränen, denn es gab in Sawolshsk nicht wenige, die dem Verstorbenen wohlgesonnen waren – von seiner umfangreichen Familie gar nicht zu reden.
    Der Witwe Maria Gawrilowna, die nicht weinte, sondern nur immer wieder »Nein, nein, nein, nein!« sagte und wie aufgezogen den Kopf schüttelte, schickte man den besten Arzt, und die Frau des Gouverneurs nahm vorübergehend die Waisenkinder zu sich. Die Stadt bereitete sich darauf vor, den Leichnam feierlich in Empfang und noch feierlicher von ihm Abschied zu nehmen.
    Bischof Mitrofani war vor Schmerz wie gelähmt. Genauso wie der Witwe versagte ihm Gott zu Beginn die Erleichterung durch das Weinen. Der Geistliche lief in seinem Kabinett auf und ab, presste die Hände hinter seinem Rücken zusammen,

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