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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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noch dazu aus einem Klafter Entfernung, Polina Andrejewna so hatte zu Boden werfen können, doch der Schlag gegen die Schläfe und auf den Schädel war sehr real gewesen: Seitlich vom linken Auge befand sich eine riesige, blutunterlaufene Schwellung, die sich nach unten und oben hin beinahe über die ganze Gesichtshälfte ausbreitete.
    Der Kummer über ihre Verunstaltung ließ sogar die Erinnerung an den schrecklichen mysteriösen Vorfall verblassen und in den Hintergrund treten.
    Verzagt wandte Frau Lissizyna dem Spiegel ihr unversehrtes Profil zu und betrachtete es schräg von der Seite – es sah ganz anständig aus. Dann aber blickte sie wieder von vorn in den Spiegel und stöhnte. Und von der linken Seite betrachtet sah ihr Gesicht wahrscheinlich aus wie eine Aubergine.
    Das war sie, die Schönheit des Fleisches – Staub und Moder, mit einer saftigen Ohrfeige als Preis, sagte sich Polina Andrejewna, und sie dachte an ihren nur vorübergehend aufgegebenen Stand als Nonne. Der Gedanke war richtig, ja löblich, doch brachte er ihr keinen Trost.
    Vor allem – wie sollte sie in diesem Zustand auf die Straße gehen? Sie konnte doch nicht eine Woche lang im Zimmer sitzen, bis der blaue Fleck verschwunden war!
    Sie musste sich etwas überlegen.
    Schwer seufzend und mit einem schlechten Gewissen holte die Lissizyna eine Kosmetikgarnitur aus dem Koffer – ein weiteres Geschenk der Reiseagentur »Cook and Kantorowicz«, das man ihr zusammen mit dem bereits erwähnten Handarbeitsbeutel überreicht hatte. Nur hatte die Pilgerin die Kosmetik, im Unterschied zu dem praktischen Beutelchen, natürlich nicht benutzen wollen. Sie hatte sie einer weltlichen Frau schenken wollen, aber daraus würde nun nichts werden.
    Eine schöne Nonne, kein Zweifel, sagte sich Polina Andrejewna in Gedanken, als sie den hässlichen blauen Fleck überpuderte. Und obendrein beneidete sie die Brünetten: Diese hatten eine dicke, bräunliche Haut, die schnell heilte, für Rothaarige mit ihrer blassen Haut hingegen waren blaue Flecken einfach eine Katastrophe.
    Es sah trotz allem schlimm aus, selbst mit der Kosmetik. Im lasterhaften Petersburg oder im leichtsinnigen Moskau konnte man sich in diesem Zustand wahrscheinlich noch auf der Straße zeigen, vor allem, wenn man einen Schleier trug, doch im frommen Ararat war nicht daran zu denken – man wurde möglicherweise sogar gesteinigt, wie es der Dirne im Evangelium fast widerfahren wäre.
    Was sollte sie machen? Gepudert konnte sie das Haus nicht verlassen, und ohne Puder, mit dem blauen Fleck, erst recht nicht. Aber es war keine Zeit zu verlieren.
    Sie überlegte hin und her, und schließlich fiel ihr etwas ein.
    Sie zog ein ganz einfaches Kleid aus schwarzem Tibetstoff an. Dann hüllte sie den Kopf in ein Pilgertuch, das sie so tief wie möglich ins Gesicht zog, bis zu den Augenwinkeln. Den noch sichtbaren Teil des blauen Flecks überpuderte sie. Wenn man nicht allzu genau hinsah, fiel der Fleck kaum auf.
    Sie huschte zum Ausgang und bedeckte die Wange mit dem Tuch. Die gelbe Reisetasche hatte sie bei sich – sie wagte nicht, sie im Zimmer zurückzulassen. Man weiß ja, wie Hotelangestellte sind – überall stecken sie ihre Nase hinein, wühlen in den Sachen. Gott behüte, dass sie den Revolver oder das Protokoll der Leichenschau finden würden. Die Tasche war keine allzu große Last und zog ihr nicht die Arme herunter.
    Auf der Straße hielt die Pilgerin den Blick gesenkt, und sie ging ruhig und demütig bis zu dem zentralen Platz, an dem sie gestern ein kleines Geschäft für Klosterbekleidung gesehen hatte.
    Bei dem als Verkäufer tätigen Mönch kaufte sie für drei Rubel fünfundsiebzig Kopeken das Gewand eines Klosterbruders: ein Käppchen, einen leichten baumwollenen Leibrock, einen Stoffgürtel. Um keinen Verdacht zu erregen, sagte sie, sie kaufe die Sachen als Geschenk für das Kloster. Der Verkäufer wunderte sich keineswegs, die Pilger kauften häufig Gewänder für die Ordensbrüder, eben dafür war das Geschäft ja da.
    Also hatte Polina Andrejewna sich eine neue Maskerade ausgedacht, noch unziemlicher und lästerlicher als die erste. Aber was hätte sie denn tun sollen? Außerdem war ihr eben erst eingefallen, dass sie sich als bescheidener Mönch verkleidet noch ungehinderter würde bewegen können.
    Sie ließ sich die neue Idee durch den Kopf gehen und hielt Ausschau nach einem geeigneten Ort, wo sie sich würde umkleiden können. Sie spazierte durch weniger belebte Straßen und

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