Pelagia und der schwarze Moench
Polina Andrejewna, die es nicht eilig hatte, dem Mönch ihre Vermutungen mitzuteilen – ihr schien, der heilige Eremit habe noch nicht alles erzählt.
»Vor etwa drei Monaten war jemand hier. Wie du, nachts. Er kam zu mir in die Zelle«, sprach Israil und bestätigte damit ihre Annahme.
»Klein, zerzaust, am ganzen Körper zuckend?«, fragte sie.
Der Mönch kniff die Augen zusammen.
»Ich sehe, du kennst ihn. Ja, er war klein. Er hat ungereimtes Zeug geredet und die ganze Zeit gesabbert. Er sah aus wie ein Narr in Christo. Aber er hat ihn nicht umgebracht.«
Bei diesen Worten holte Frau Lissizyna ihre Brille aus dem Etui, setzte sie auf die Nase und blickte den Abt sehr aufmerksam an.
»Sie sagen das so überzeugt. Warum?«
»Er war nicht so einer. Ich habe eine gute Menschenkenntnis. Und ich habe seine Augen gesehen. Mit solchen Augen bringt man niemanden um, noch dazu heimlich im Schlaf. Ich habe nicht verstanden, was er mir da erzählt hat. Von irgendwelchen Strahlen. Er wollte meine ganze Glatze genau untersuchen. Ich habe ihn davongejagt. Doch ich habe mich nicht bei den Araratern beklagt. Es wäre schwer gewesen, ihnen das zu erklären, mit einem Wort pro Tag, und außerdem hat dieser Narr in Christo keinen Schaden angerichtet . . . Nein, meine Tochter. Feognost hat jemand anders erstickt. Und mich dünkt, ich weiß auch, wer.«
»Cucullus non facit monachum?« Polina Andrejewna nickte verständnisvoll.
»Ja. Das habe ich nur zu dir gesagt, damit der Fährmann es nicht verstand.«
»Aber woher wussten Sie, dass ich Latein verstehe?«
Der Mönch lächelte mit seinen vollen Lippen, die so wenig zu seinem asketischen, hageren Gesicht passten.
»Meinst du, ich kann eine gebildete Frau nicht von einer Köchin unterscheiden? Auf deiner Nasenwurzel ist der Abdruck eines Brillenbügels – man sieht ihn kaum, aber ich habe ein gutes Auge für Kleinigkeiten. Die feinen Falten hier«, er deutete mit dem Finger auf ihre Augenwinkel, »kommen vom übermäßigen Lesen. Was denkst du nur, meine Liebe, über Frauen weiß ich alles. Ein Blick genügt, und ich kann jeder Frau ihr Leben erzählen.«
Frau Lissizyna ertrug so anmaßendes Verhalten nicht, auch wenn es von einem heiligen Mönch kam.
»So, so, jeder Frau also. Was sagen Sie denn über mein Leben?«
Israil neigte den Kopf zur Seite, als wolle er überprüfen, was er ohnehin schon wusste. Dann fing er gelassen an:
»Du bist etwa dreißig Jahre alt. Nein, eher einunddreißig. Du bist kein Fräulein, aber auch keine verheiratete Frau. Ich nehme an, Witwe. Einen Geliebten hast du nicht, und du willst auch keinen haben, weil. . .«, er griff nach der Hand seiner bestürzten Zuhörerin und musterte ihre Fingenägel und die Handfläche, »weil du Nonne oder Klosterschwester bist. Du bist auf dem Land aufgewachsen, auf einem mittelrussischen Landgut, hast dann aber in den Hautpstädten gelebt und in der guten Gesellschaft verkehrt. Dein größter Wunsch ist es, ein geistliches Leben zu führen, doch das fällt dir schwer, weil du jung und voller Tatendrang bist. Und vor allem – du bist voller Liebe, voller unverbrauchter Liebe, die aus dir hervorbricht.« Der Mönch seufzte. »Frauen wie dich habe ich am meisten geschätzt. Es gibt nichts Wertvolleres auf der Welt. Vor einiger Zeit, vor etwa fünf oder sechs Jahren, hast du ein großes Unglück erlebt, einen gewaltigen Schmerz, nach dem du der Welt entsagen wolltest. Sieh mir in die Augen. Ja, so ist es . . . Ich sehe es, ich sehe, was für ein Schmerz das war. Soll ich es sagen?«
»Nein!« Polina Andrejewna fuhr zusammen. »Das ist nicht nötig!«
Der Mönch zeigte ein sanftes, verhaltenes Lächeln.
»Wundere dich nicht, hier ist keinerlei Zauberei im Spiel. Du hast wahrscheinlich davon gehört. Ich bin vom passionierten Lüstling zum Mönch geworden. Die Frauen waren der ganze Sinn meiner früheren Existenz. Ich habe Evas Schwestern mehr als alles andere auf der Welt geliebt. Nein, das stimmt nicht: Ich habe nichts außer den Frauen geliebt. So weit ich mich zurückerinnere, war ich schon immer so, von frühester Kindheit an.«
»Ja, ich habe gehört, dass Sie früher ein Don Juan sondergleichen waren, Sie sollen tausend Frauen gehabt und sogar einen Atlas dazu erstellt haben.«
Sie blickte den abgezehrten Greis mit einer scheuen Neugierde an, die sich für eine Person geistlichen Stands überhaupt nicht geziemte.
»Der Atlas ist dummes Zeug, ein zynischer Scherz. Und dass ich mit tausend Frauen
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