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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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lasse er dem Scharfsinn seines Gesprächspartners die gebührende Anerkennung widerfahren. Er musste eine andere Taktik einschlagen.
    »Nun ja, Herr Korowin. Sie kann man nicht aufs Glatteis führen. Sie haben ganz Recht. Ich bin nicht der Kontorist Tscherwjakow. Ich bin der Sawolshsker Polizeimeister Lagrange. Sie verstehen, ein Mann in meiner Position beschäftigt sich nicht mit Kleinigkeiten. Ich bin hier in einer außerordentlich wichtigen Angelegenheit, wenn auch nicht offiziell. Dabei geht es . . .«
    ». . . um einen gewissen Mönch, der ungeniert auf dem Wasser wandelt und des Nachts die törichten Einwohner in Angst und Schrecken versetzt«, fiel der mit allen Wassern gewaschene Doktor ein und stieß einen Rauchkringel aus. »Und wodurch, wenn Sie gestatten, hat dieses Phantom die Aufmerksamkeit Ihrer unersättlichen, das heißt, ich wollte sagen unermüdlichen Behörde erregt? Sie halten doch wohl den heiligen Wassilisk nicht für das berüchtigte Gespenst, mit dem die Herren Marxisten die Ausbeuter einschüchtern?«
    Lagrange wurde feuerrot und wollte den unverschämten Quacksalber in seine Schranken weisen, doch in dem Moment geschah etwas Merkwürdiges.
    Der Tag war im Unterschied zum vorhergehenden sonnig und ungewöhnlich warm, weshalb die Fenster des Kabinetts offen standen. Es war herrlichstes Wetter, kein Wölkchen stand am Himmel, kein Lüftchen wehte, nur der Goldglanz des Blattwerks und das schillernde Flirren der Luft waren zu sehen. Und doch schwankte mit einem Mal der offen stehende Fensterflügel, nur ganz sacht, aber dem professionellen Blick des Polizeimeisters entging die Veränderung nicht. So, so – Felix Stanislawowitsch wollte sich das merken. Warten wir mal ab, was noch kommt.
    Er beobachtete den interessanten Fensterflügel weiter aus dem Augenwinkel heraus und senkte die Stimme.
    »Nein, Donat Sawwitsch, mit dem Gespenst des Kommunismus hat der schwarze Mönch ganz und gar keine Ähnlichkeit. Aber es gibt Unruhe und Aufregung bei den Einwohnern, und das fällt in unsere Zuständigkeit.«
    »Folglich ist Lentotschkin ein Polizeispitzel?« Korowin schüttelte verwundert den Kopf. »Darauf kommt man im Leben nicht. Er ist offenbar ein fähiger Bursche, er hätte es weit gebracht. Aber dazu wird es jetzt wohl leider nicht kommen. Der Junge kann einem Leid tun, es steht äußerst schlecht um ihn. Das Schlimmste aber ist, dass ich keinen auch nur entfernt vergleichbaren Präzendenzfall finden konnte. Ich weiß einfach nicht, wie ich ihn heilen kann. Unterdessen vergeht die Zeit, wertvolle Zeit. Lange wird er es so nicht mehr machen . . .«
    Endlich war man zur Sache gekommen.
    »Was hat er Ihnen von den Ereignissen jener Nacht erzählt?«, fragte der Oberst und zückte seinen Notizblock.
    Der Doktor zuckte die Schultern.
    »Nichts. Rein gar nichts. Er war gar nicht in der Lage, etwas zu erzählen.«
    Ich bin ihm unsympathisch, konstatierte Lagrange in Gedanken, und zwar so sehr, dass er es nicht einmal für nötig hält, das zu verbergen. Macht nichts, mein Bester, die Fakten wirst du mir ohnehin darlegen, so kommst du mir nicht davon.
    Er sagte nichts, sondern klopfte nur viel sagend mit dem Bleistift auf das Papier: Fahren Sie fort, ich höre.
    »Am vergangenen Dienstag, also vor genau einer Woche, weckte mich der Pförtner bei Morgengrauen. Ihr › Neffe‹ hatte sich gewaltsam Zutritt zum Gelände verschafft, er war ganz zerzaust und zerkratzt, seine Augen quollen hervor, und er war vollkommen nackt.«
    »Wie das denn?«, fragte Felix Stanislawowitsch ungläubig. »Vollkommen nackt? Und er war so über die Insel spaziert?«
    »Nackter geht es nicht. Er wiederholte unablässig ein und dasselbe: › Credo, Domine, credo!‹ Da er schon vorher bei mir gewesen war, als . . .«
    Ich weiß, ich weiß, nickte der Oberst ungeduldig, weiter.
    »Ach, Sie wissen davon?« Der Doktor kratzte sich an der Nasenwurzel. »Hm, das heißt, er hatte noch Gelegenheit, Ihnen von seinem ersten Besuch zu berichten . . . Jedenfalls, als ich sah, in welchem Zustand er sich befand, wollte ich ihn ins Haus bringen lassen. Aber das war unmöglich! Er schrie und riss sich los, die beiden Pfleger konnten ihn nicht einmal ins Vorzimmer tragen. Sie versuchten, ihm eine Decke überzuwerfen – es war schließlich kalt – , aber es war wieder das Gleiche: Er schlug um sich und warf die Decke ab. In ihrem Ärger haben sie ihn in die Zwangsjacke gesteckt, aber er bekam solche Krämpfe, dass ich sie ihm wieder ausziehen

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