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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ließ. Ich bin überhaupt ein Gegner von Zwangsmitteln bei der Heilung. Ich begriff zunächst nicht. . .«
    Donat Sawwitsch setzte die Brille ab, putzte gemächlich die Gläser und fuhr erst danach mit seiner Erzählung fort.
    »Hm, ja, also ich begriff zunächst nicht, dass ich es mit einem ungewöhnlich starken Fall von Klaustrophobie zu tun hatte, bei dem der Kranke nicht nur den Aufenthalt in geschlossenen Räumen fürchtet, sondern auch keine Kleidung am Körper ertragen kann . . . Ich sage Ihnen, das ist ein sehr seltener Fall, weder in Lehrbüchern noch in Aufsätzen habe ich je davon gehört. Daher habe ich Ihren › Neffen‹ zu Forschungszwecken hier behalten. Außerdem ist es unmöglich, ihn von hier wegzubringen. Zum einen wird er sich erkälten. Und überhaupt, wie soll man ihn unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Moral splitterfasernackt transportieren? Die Pilger wären empört, und auch der Archimandrit würde keine Nachsicht zeigen.«
    Felix Stanislawowitsch runzelte die Stirn, während er die erstaunlichen Informationen verdaute. Den Fensterflügel (der sich übrigens nicht mehr bewegte) hatte der Polizeimeister völlig vergessen.
    »Warten Sie, Doktor, aber . . . wo haben Sie ihn denn untergebracht? Lebt er etwa nackt in der freien Natur?«
    Korowin brach in ein zufriedenes, herablassendes Lachen aus und erhob sich.
    »Kommen Sie, Herr Oberkontorist, Sie sollen es selbst sehen.«
    ***
    Die Heilanstalt des Doktor Korowin befand sich am schönsten Fleck der Insel Kanaan, auf einem sanft geneigten, bewaldeten Hügel, der sich nördlich des Städtchens erhob. Lagrange wunderte sich zunächst, dass es keine Zäune und Tore gab. Ein schmaler, mit fröhlichen gelben Ziegelsteinen gepflasterter Weg schlängelte sich zwischen Wiesen und Wäldchen dahin, wo kleine Häuschen ganz unterschiedlicher Bauart in einiger Entfernung voneinander standen: Es gab Steinhäuschen und solche aus Baumstämmen oder Brettern, es gab schwarze, weiße und bunte Häuschen, solche mit gläsernen Wänden und solche ohne Fenster, es gab Häuschen mit kleinen Türmen und solche mit flachen Dächern wie im Orient – kurz: Es gab weiß der Teufel was alles. Diese wunderliche Ansiedlung erinnerte Lagrange an ein Bild aus dem Buch »Das Städtchen in der Tabatiere«, das er als Kind sehr geliebt hatte, doch seither waren beinahe vierzig Jahre vergangen, und sein Geschmack hatte sich sehr verändert.
    Sein erster Eindruck, noch bevor er Donat Sawwitsch kennen lernte, war folgender: Hier waren Verrückte einem noch Verrückteren zur Heilung anvertraut. Wo hatten die Aufsichtsbeamten des Gouvernements nur ihre Augen?
    Jetzt aber, als er dem Doktor über das Gelände der Heilanstalt folgte, beachtete der Oberst diese Puppenhäuser nicht mehr, sondern er richtete seine Aufmerksamkeit auf die dichten Weißdornbüsche, die den Weg säumten. Dort schlich jemand umher, auf der anderen Seite, und zwar nicht besonders geschickt – er streifte raschelnd das trockene Blattwerk und knackte mit den Zweigen. Mit zwei Sprüngen hätte man auf der anderen Seite der Hecke sein und den, der dort herumstapfte, am Kragen packen können, doch Lagrange beschloss, nichts zu überstürzen.
    Sie bogen in einen schmalen Pfad ein, der von gläsernen Treibhäusern mit Gemüsebeeten, Blumen und Obstbäumen gesäumt war.
    Das hingegen ist löblich, dachte der Oberst beifällig, als er durch die Glaswände Erdbeeren, Apfelsinen und sogar Ananas erkannte. Korowin war offenbar ein Mann mit Geschmack.
    Bei der größten Orangerie, einem Palmenhaus, das aussah wie eine Luftspiegelung über dem Ozean, wie eine über den trüben nördlichen Wassern schwebende üppiggrüne tropische Insel, blieb der Doktor stehen.
    »Sehen Sie. Neunhundert Quadratklafter Palmen, Bananenstauden, Magnolien und Orchideen. Das hat mich einhundertvierzigtausend gekostet. Dafür ist es ein richtiger Garten Eden geworden.«
    Lagranges Geduld war nun endgültig zu Ende.
    »Hören Sie zu, Sie Kurpfuscher!« Der Oberst riss drohend die Augen auf. »Glauben Sie denn, ich bin hergekommen, um mir Blumen anzusehen? Jetzt reicht es mir aber! Wo ist Lentotschkin?«
    Felix Stanislawowitsch war Furcht erregend in seinem Zorn. Selbst die Hafenpolizisten, hart gesottene Kerle, erstarrten dann vor Schreck. Aber Donat Sawwitsch zuckte nicht mit der Wimper.
    »Na, dort drüben, unter der Glaskuppel, inmitten der Laubhütten des Paradieses.« Er zeigte auf das Palmenhaus. »Er hat sich selbst dorthin

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