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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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keuchend und schweißnass wieder oben ankam.
    »Lidia Jewgenjewna, hier ist Ihr Handschuh!«, verkündete er triumphierend und sah sich um.
    Aber auf dem Hügel war keine Lidia Jewgenjewna mehr. Sie war verschwunden.
    ***
    »So, Sie sind also sein Onkel mütterlicherseits, sagen Sie?«, vergewisserte sich Korowin, wobei er Felix Stanislawowitsch aufmerksam musterte und sein Blick aus irgendeinem Grunde auf dem Hals des Besuchers haften blieb. »Und Sie arbeiten bei einer Bank?«
    Lagrange hockte nun schon seit fast einer Stunde im Kabinett des Doktors, und dabei war bislang noch nichts herausgekommen. Donat Sawwitsch hatte sich als ein schwieriger Gesprächspartner erwiesen, der sich beharrlich der psychologischen Beeinflussung widersetzte, deren Regeln die besten Köpfe im Polizeidepartement und im Gendarmeriekorps ausgearbeitet hatten.
    In völliger Übereinstimmung mit der neuesten Vernehmungswissenschaft hatte der Polizeimeister versucht, schon in der allerersten Minute ihrer Bekanntschaft die richtige Hierarchie herzustellen und festzulegen, wer der »Vater« und wer der »Sohn« ist. Er schüttelte dem hageren, glatt rasierten Doktor kräftig die Hand, blickte ihm angelegentlich direkt in die Augen und sagte mit einem freundlichen Lächeln:
    »Eine vortreffliche Einrichtung haben Sie da. Ich habe schon viel darüber gehört und gelesen und bin sehr beeindruckt. Es ist einfach ein Glück, dass Aljoschik in so zuverlässige Hände geraten ist.«
    Das Kompliment wurde absichtlich mit überaus leiser Stimme vorgetragen, damit der Opponent sofort richtig zuhörte, seine Nackenmuskeln mobilisierte und unwillkürlich den Kopf vorneigte. Zudem würde Korowin nach dem Gesetz der Komplementarität dann laut sprechen und seine Stimmbänder anstrengen müssen. Damit wäre die erste Etappe zur Etablierung einer Beziehung erfolgreich abgeschlossen, und der psychologische Vorteil läge gleich von Anfang an beim Oberst.
    Der Doktor aber beherrschte die Methode des diskursiven Positionsaufbaus nicht schlechter als der Polizeimeister. Er hatte sie bestimmt an seinen Patienten ausführlich geübt. Hätte die Unterhaltung nicht auf Donat Sawwitschs Territorium, sondern in einem strengen Kabinett mit dem Porträt Seiner Majestät des Zaren an der Wand stattgefunden, wäre der Vorteil auf Felix Stanislawowitschs Seite gewesen, so aber musste er seine Marschrichtung ändern.
    Als der Arzt, ohne den Blick abzuwenden, dem Oberst energisch die Hand schüttelte und auf dessen schmeichelhafte Worte kaum vernehmlich antwortete: »Ich bitte Sie, was ist das schon für ein Glück?«, begriff Lagrange sogleich, dass er an den Falschen geraten war. Der Hausherr setzte den Besucher in einen außerordentlich bequemen, aber niedrigen und leicht nach hinten geneigten Sessel, während er selbst hinter seinem Schreibtisch Platz nahm, so dass Felix Stanislawowitsch gezwungen war, zu Korowin aufzusehen. Der Doktor ergriff auch sofort die Initiative zum Gespräch.
    »Es ist sehr gut, dass Sie so schnell gekommen sind. Nun, erzählen Sie schon.«
    »Was soll ich erzählen?«, fragte Lagrange verwirrt.
    »Das ganze Leben Ihres Neffen, von den allerersten Tagen an. Wann er den Kopf halten konnte, mit wie viel Monaten er laufen lernte, wie lange er ins Bett gemacht hat. Und seinen Stammbaum, in allen Einzelheiten. Der junge Mann war einmal bei mir, noch vor seinem Raptus, und ich habe eine erste Befragung durchgeführt, doch ich muss die Angaben überprüfen . . .«
    Der Polizeimeister verfluchte sich für die unglücklich gewählte Identität und begann zu fantasieren und eine Million verschiedener idiotischer Fragen zu beantworten. Aber bis jetzt war es ihm noch nicht gelungen, zur Sache zu kommen.
    »Ja, ich arbeite bei einer Bank«, erwiderte er. »Bei der Wolga-Kaspischen Bank, als Oberkontorist.«
    »Aha, als Kontorist.« Donat Sawwitsch seufzte, entnahm dem goldenen Zigarettenetui mit Brillantmonogramm eine Papirossa, von der er einen Tabakkrümel blies. »Und woher haben Sie dann diesen Streifen am Hals ? Hier. So etwas haben für gewöhnlich Soldaten, von der ständigen Berührung eines Uniformkragens . . . Oder Gendarmen.«
    Dieser Teufelsdoktor! Eine geschlagene Stunde hatte er sich jetzt über ihn lustig gemacht, ihn allerlei Blödsinn über Windpocken und Neigung zur Onanie bei seinem vergötterten Neffen verzapfen lassen, und dabei hatte er längst alles durchschaut!
    Felix Stanislawowitsch grinste gutmütig und breitete die Arme aus, als

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