Pelagia und der schwarze Moench
unangenehmste Arbeit beendet. Der stellvertretende Staatsanwalt befahl, den Tisch in die Kälte zurückzurollen, und ging erleichtert ins Nebenzimmer, wo die Sachen des Selbstmörders aufbewahrt wurden.
»Wohin mit ihm?« erkundigte sich der Diener, der zu ihm hereintrat und die Hände an seinem speckigen Leibrock abwischte. »Auf die Erde, oder wird er hier begraben?«
Berditschewski verstand den Sinn der Frage nicht sogleich. Als ihm aber aufging, dass man mit »Erde« hier das Festland bezeichnete, war er unwillkürlich begeistert von der Klosterterminologie. Als sei man hier nicht auf einer Insel, sondern im Himmel.
»Wir werden ihn überführen. Wenn ich zurückfahre, nehme ich ihn mit. Wo sind die Sachen? Und seine Kleider?«
In der Reisetasche fand sich nichts Bemerkenswertes. Lediglich ein beeindruckender Vorrat an Pomade zum Fixieren des Schnurrbarts erregte die Aufmerksamkeit des Ermittlers sowie ein Pariser Album mit unanständigen Fotografien, das Felix Stanislawowitsch offenbar zur Zerstreuung mit auf die Reise genommen hatte. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort und ohne Zeugen hätte Matwej Benzionowitsch das frivole Büchlein gern selbst durchgeblättert, doch im Moment war ihm nicht danach zumute.
Besonders die Waffe interessierte den Ermittler – ein Revolver der Marke Smith & Wesson, Kaliber 45. Berditschewski roch daran und tastete innen am Lauf nach Schmauchspuren (vorhanden), prüfte die Trommel (fünf Kugeln steckten, eine fehlte). Dann legte er den Revolver zur Seite.
Er untersuchte die Kleider, die zu einem Stapel aufgeschichtet und einzeln nummeriert waren. Am Kleidungsstück Nr. 3 (Jackett) erkannte man unterhalb der linken Brusttasche ein kleines Loch mit verbrannten Rändern, wie es bei einem Schuss aus nächster Nähe zu erwarten war. Matwej Benzionowitsch verglich das Loch im Jackett mit denjenigen in den Kleidungsstücken Nr. 5 (Weste), Nr. 6 (wollenes Wams), Nr. 8 (Oberhemd) und Nr. 9 (Leibhemd). Alles passte ganz genau zusammen. Auf beiden Hemden und zum Teil auch auf dem Wams waren Blutspuren zu erkennen.
Kurzum, es bot sich ein eindeutiges Bild. Der Selbstmörder hatte die Waffe in der linken Hand gehalten und diese dabei ziemlich weit abgespreizt. Deshalb verlief der Schusskanal von links unten nach rechts oben. Das war einigermaßen merkwürdig – es wäre viel einfacher gewesen, den langläufigen Revolver mit beiden Händen am Griff zu packen und sich die Kugel direkt ins Herz zu schießen. Im Übrigen war auch die Tat selbst, milde ausgedrückt, merkwürdig, denn niemand, der bei klarem Verstand war, würde sich freiwillig durchlöchern. Wahrscheinlich hatte er einfach auf den Abzug gedrückt, und der Schuss war losgegangen . . .
»Und was ist das?«, fragte Berditschewski, der mit zwei Fingern einen weißen Damenhandschuh mit dem Schildchen Nr. 13 hochhielt.
»Ein Handschuh«, antwortete der Diener gleichmütig.
Seufzend formulierte der Staatsanwalt seine Frage genauer:
»Wie kommt der hierhin? Und warum ist er blutig?«
»Der Herr trug ihn an der Brust, unter dem Hemd.« Der Mönch zuckte die Schultern. »Weltlicher Tand.«
Die feine Seide wies bei näherer Betrachtung ebenfalls ein Loch auf.
Hm. Matwej Benzionowitsch entschied, sich mit Schlussfolgerungen bezüglich des Handschuhs vorläufig zurückzuhalten, doch er legte den interessanten Gegenstand zur Seite, zu den Briefen und dem Revolver. Die für das Untersuchungsverfahren notwendigen Gegenstände packte er in Lagranges Reisetasche (er musste sie schließlich irgendwie transportieren) und quittierte ihren Empfang mit seiner Unterschrift im Register.
Der Mönch im Nebenzimmer sang leise etwas vor sich hin, während er mit großen Stichen den Bauch des alten Mannes zunähte. Als er genauer hinhörte, verstand Berditschewski in etwa Folgendes:
»Ich klage und weine, denk ich an den Tod, seh ich sie im Sarge liegen, die nach Gottes Abbild geschaffene Schönheit, Hässlichkeit und Schmach . . .«
In der Jackentasche klingelte seine Breguet: einmal laut, zweimal leise. Ein ausgezeichneter Chronometer, ein echtes Wunderwerk schweizerischen Uhrmachergenies, das ihm Vater Mitrofani zum zehnten Hochzeitstag geschenkt hatte. Das Klingeln bedeutete, dass es jetzt halb zwei Uhr mittags war – Zeit, den Klostervorsteher von Neu-Ararat aufzusuchen.
***
Die Unterhaltung mit Vater Witali gestaltete sich kurz und unangenehm.
Der Archimandrit empfing den Gouvernementsbeamten bereits höchst verärgert.
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