Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
gutmachen könnte, ihn von der Seele waschen! Ich wäre zu jeder Prüfung, zu jeder Qual bereit, damit ich mich wieder fühlen könnte wie . . .« – er hatte sagen wollen »ein edler Mensch«, doch er schämte sich und sagte nur: ». . . ein Mensch.«
    »Es ist nützlich, ja unabdingbar, sich zu prüfen«, stimmte Lew Nikolajewitsch zu. »Ich bin der Meinung, dass . . .«
    »Warten Sie!«, unterbrach ihn der stellvertretende Staatsanwalt, dem plötzlich eine Idee gekommen war. »Warten Sie! Ich weiß, welche Prüfung ich mir auferlegen muss! Sagen Sie mir, um Christi willen, sagen Sie mir, wo befindet sich das Haus, in dem der Bakenwärter wohnte? Kennen Sie es?«
    »Natürlich kenne ich es«, versetzte Lew Nikolajewitsch verwundert. »Es ist dort drüben, Sie gehen am Ufer entlang bis zur Landzunge, und dann nach links. Es sind etwa zwei Werst. Aber warum wollen Sie das bloß wissen?«
    »Sehen Sie, es ist so . . .«
    Und Berditschewski gab dem Herzensfreund alle Geheimnisse der Ermittlung preis – offenbar lud diese Nacht dazu ein. Er erzählte von Aljoscha Lentotschkin, von Lagrange und selbstverständlich auch von seiner eigenen Mission. Der Zuhörer konnte nur immer wieder »Ach« sagen und den Kopf schütteln.
    »Ich schwöre Ihnen«, sprach Matwej Benzionowitsch abschließend, und er hob die Hand, als müsse er einen Eid vor Gericht ablegen, »dass ich mich unverzüglich, noch in dieser Minute, ganz allein zu dieser Teufelshütte aufmachen, bis Mitternacht warten und sie dann betreten werde, wie Alexej Stepanowitsch und Felix Stanislawowitsch es getan haben. Es ist mir egal, wenn dabei nichts herauskommt, wenn alles Aberglaube und leeres Geschwätz ist. Die Hauptsache ist, dass ich meine Angst überwinde und damit meine Selbstachtung wiedererlange!«
    Lew Nikolajewitsch sprang auf und rief begeistert aus:
    »Wie wunderbar Sie das gesagt haben! An Ihrer Stelle würde ich genauso handeln. Aber wissen Sie was . . .«, und mit einer hastigen Bewegung packte er Berditschewski am Ellbogen. »Sie dürfen nicht allein gehen. Das ist viel zu unheimlich. Nehmen Sie mich mit. Nein, wahrhaftig! Lassen Sie uns zusammen gehen, ja?«
    Flehentlich blickte er Matwej Benzionowitsch in die Augen, sodass es diesem die Brust zusammenschnürte und ihm erneut Tränen die Wangen hinunterliefen.
    »Ich danke Ihnen«, sagte der stellvertretende Staatsanwalt gefühlvoll. »Ich weiß Ihre Bereitschaft zu schätzen, doch mein Herz sagt mir, dass ich allein gehen muss. Sonst kommt nichts dabei heraus, und es ist keine echte Buße.« Er rang sich ein Lächeln ab und versuchte sogar zu scherzen. »Zudem sind Sie ein so engelgleiches Wesen, dass die unreine Macht Sie in Verlegenheit stürzen könnte.«
    »Gut, gut«, nickte Lew Nikolajewitsch. »Ich werde Sie nicht stören. Wissen Sie was, ich begleite Sie bis zur Hütte und halte mich dann abseits. Fünfzig Schritt entfernt, oder sogar hundert. Aber begleiten werde ich Sie ganz gewiss. Sie werden sich weniger einsam fühlen, und ich mache mir weniger Sorgen. Wer weiß, was passiert. . .«
    Berditschewski war schrecklich froh über diesen Vorschlag, der einerseits die selbst auferlegte Prüfung nicht schmälerte, der aber andererseits eine gewisse, wenn auch fiktive Unterstützung versprach. Er freute sich – und auf der Stelle ärgerte er sich über sich selbst, darüber dass er sich freute.
    Er runzelte die Stirn und sagte:
    »Nicht hundert Schritt. Zweihundert.«
    ***
    Sie trennten sich auf der kleinen Brücke über dem schmalen reißenden Fluss, der nicht mehr als zwanzig Klafter entfernt in den See mündete.
    »Da ist es, das Haus des Bakenwärters.« Lew Nikolajewitsch deutete auf einen dunklen Würfel, dessen helles Strohdach im Mondlicht leuchtete. »Darf ich wirklich nicht mitkommen?«
    Berditschewski schüttelte den Kopf. Er wollte nicht sprechen, weil er seine Zähne fest zusammengebissen hatte und befürchtete, sie würden, wenn er nur den Mund aufmachte, beschämend zu klappern anfangen.
    »Nun, mit Gottes Hilfe«, sagte der treue Sekundant aufgeregt. »Ich werde hier warten, bei der Abdankungskapelle. Wenn etwas ist, schreien Sie, dann komme ich sofort gelaufen.«
    Anstelle einer Antwort umfasste Matwej Benzionowitsch unbeholfen Lew Nikolajewitschs Schultern, um ihn für einen Moment an sich zu ziehen, bevor er ihm noch einmal zuwinkte und dann auf die Hütte zuging.
    Es waren noch zwei Minuten bis Mitternacht, aber es war auch nicht weit zu gehen – nicht einmal

Weitere Kostenlose Bücher