Pelagia und der schwarze Moench
zweihundert, sondern höchstens einhundertfünfzig Schritte.
Unsinn, sagte sich der stellvertretende Staatsanwalt, während er die Hütte einem genauen Augenschein unterzog. Ich weiß schließlich ganz genau, dass nichts geschehen wird. Es kann gar nichts geschehen. Ich werde hineingehen, eine Weile dort stehen bleiben, wieder hinausgehen und mir wie ein kompletter Trottel Vorkommen. Zum Glück habe ich einen so gutherzigen Zeugen. Ein anderer würde sich lustig machen und in der ganzen Welt herumposaunen, dass der Stellvertreter des Gouvernements-Staatsanwalts sich zu einem Stelldichein mit der unreinen Macht begibt und obendrein vor Angst schlottert.
Vom Ehrgeiz geweckt, regte sich in seiner Seele ein Funken von Tapferkeit. Man musste ihn nun behutsam, wie ein im Wind zitterndes Flämmchen, anfachen und durfte ihn nicht erlöschen lassen.
»Na, na, na«, sprach Berditschewski vor sich hin, während er zügiger ausschritt.
Trotzdem machte er vor der schief und krumm vernagelten Tür Halt und bekreuzigte sich hastig, so, dass es von hinten nicht zu sehen war. Sich nackt auszuziehen, wäre natürlich Unsinn, beschloss Matwej Benzionowitsch. Er konnte sich ohnehin nicht richtig erinnern, wie die magische Formel aus dem mittelalterlichen Traktat lautete. Na, das machte nichts, irgendwie würde er auch ohne diese Formel zurechtkommen. Er musste das in die Scheibe eingeritzte Kreuz berühren und dabei etwas von einer Übereinkunft von Gabriel mit dem Teufel sagen. Komm, heiliger Geist – so hieß es wohl. Und wenn es dann losging, müsste er schnellstens auf Lateinisch ausrufen, dass er an den Herrn glaubte, und alles wäre aufs Beste eingerichtet.
Das Feixen ließ den Ermittler Mut schöpfen. Er packte den Beschlag der Tür und zerrte aus Leibeskräften daran.
Wie sich herausstellte, hätte er sich gar nicht anstrengen müssen – der Türflügel gab ganz leicht nach.
Matwej Benzionowitsch ging über den knarrenden Fußboden und versuchte herauszufinden, wo das Fenster war. Unschlüssig blieb er stehen, doch in dem Moment erhellte der Mond, der sich zuvor für kurze Zeit hinter einer Wolke versteckt hatte, das Himmelsgewölbe von neuem, und linker Hand leuchtete ein silbriges Quadrat auf.
Der Ermittler wandte den Kopf und stieß einen erstickten Schrei aus.
Dort stand jemand!
Reglos, schwarz, mit einer spitz zulaufenden Kapuze!
Nein, nein, nein – Berditschewski schüttelte den Kopf, um die Erscheinung zu vertreiben. Als könne er das Geschüttel nicht ertragen, explodierte der Kopf plötzlich in einem unerträglichen Schmerz, der den Schädel und das Hirn durchdrang.
Sein erschüttertes Bewusstsein verließ Matwej Benzionowitsch, weiter sah und hörte er nichts mehr.
Später – er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war – fanden die Sinne zu dem unglücklichen Ermittler zurück, wenn auch nicht alle: Der Gesichtssinn wollte offenbar nicht wiederkehren, Berditschewskis Augen waren geöffnet, aber sie sahen nichts.
Er lauschte. Er konnte das hastige Klopfen seines Herzens, sogar das Schlagen seiner Wimpern hören – so still war es. Durch die Nase sog er den Geruch von Staub und Holzspänen ein. Der Kopf schmerzte, der Körper kribbelte, das heißt, er lebte.
Aber wo war er? In der Hütte?
Nein. Dort war es zwar dunkel, aber nicht so wie hier, nicht so absolut dunkel – wie in einem Sarg.
Matwej Benzionowitsch wollte sich aufsetzen und schlug sich die Stirn an. Er bewegte die Arme und konnte die Ellbogen nicht abspreizen. Er zog die Knie an, und sie stießen gegen etwas Festes.
Da begriff der stellvertretende Staatsanwalt, dass er tatsächlich in einem zugenagelten Sarg lag, und er begann zu schreien. Nicht sehr laut zunächst, als hätte er die Hoffnung noch nicht verloren:
»A-a! A-a-a!«
Dann aus Leibeskräften:
»A-a-a-a!!!!«
Berditschewski schrie, bis er keine Luft mehr hatte, und brach dann in ersticktes Schluchzen aus. Sein Gehirn, das logisches Denken gewohnt war, nutzte die kurze Atempause und zeigte ihm die Lösung eines Rätsels auf – wenn auch zu spät. Deshalb also hatte Lagrange sich mit der linken Hand, von unten nach oben zielend, erschossen! Er hatte die Waffe im Sarg nicht anders halten können. Irgendwie hatte er die langläufige Smith &: Wesson herausgezogen, aufs Herz gerichtet und abgedrückt.
O welch grimmiger Neid auf den verstorbenen Polizeimeister packte Matwej Benzionowitsch! Welche Erleichterung, welch unwahrscheinliches Glück wäre es, jetzt einen Revolver
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