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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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zur Hand zu haben! Einmal auf den Abzug drücken, und der Alptraum hätte ein Ende, ein für alle Mal.
    Berditschewski schluckte die Tränen hinunter und murmelte: »Mascha, Maschenka, verzeih mir . . . Ich habe dich schon wieder verraten, und zwar noch schlimmer, als dort auf dem Weg! Ich verlasse dich, lasse dich allein zurück . . .«
    Doch das Gehirn verrichtete weiterhin seine Arbeit, die jetzt niemandem mehr etwas nützte. Er verstand nun, warum Lentotschkin, nachdem er im Sarg gelegen hatte, keine Decken und Wände ertragen konnte und überhaupt nichts, was den Körper beengte.
    Das Schluchzen brach ganz von selbst ab, denn Berditschewski war etwas eingefallen.
    Lentotschkin war doch auf irgendeine Art und Weise dem Sarg entkommen! Verrückt zwar, aber lebendig! Das heißt, dass es noch Hoffnung gab.
    Das Gebet! Wie hatte er das nur vergessen können!
    Aber Matwej Benzionowitsch hatte sein Latein, das er in den langen Jahren am Gymnasium und auf der Universität so eifrig gelernt hatte, vor lauter Schreck vollkommen vergessen. Er konnte sich nicht einmal erinnern, wie »o Herr!« auf Lateinisch hieß.
    Also brüllte der geistliche Sohn von Bischof Mitrofani auf Russisch los:
    »Ich glaube, o Herr, ich glaube!!!«
    Er schlug wild um sich, stemmte sich mit Stirn, Händen und Knien gegen den Deckel der hölzernen Kiste – und ein Wunder geschah. Der obere Teil des Sargs flog krachend zur Seite, Berditschewski setzte sich auf, schnappte nach Luft und sah sich nach allen Seiten um.
    Es war noch immer dieselbe Hütte, die ihm nach der ägyptischen Finsternis ungewöhnlich hell vorkam, und er konnte den Ofen in der Ecke und sogar die Ofengabel erkennen. Auch das Fenster war an seinem Platz, aber die unheimliche Silhouette war verschwunden.
    Unentwegt »Ich glaube, o Herr, ich glaube« vor sich hin murmelnd, kletterte Berditschewski über den Rand und fiel krachend auf den Boden – der Sarg hatte auf einem Tisch gestanden.
    Ohne den Schmerz, der durch seinen ganzen Körper fuhr, zu beachten, rutschte er auf allen vieren flink zur Tür.
    Er kroch über die Schwelle, sprang auf und lief hinkend zu dem kleinen Fluss.
    »Lew! Nikolajewitsch! Zu Hilfe! Retten Sie mich!«, rief der stellvertretende Staatsanwalt heiser, und er hatte Angst, sich umzusehen – was, wenn der Schwarze mit der spitz zulaufenden Kapuze hinter ihm hergestürmt käme? »Helfen Sie mir! Ich falle!«
    Da war die kleine Brücke, da war das Geländer. Lew Nikolajewitsch hatte versprochen, hier zu warten.
    Berditschewski rannte nach rechts und nach links, aber da war niemand.
    Das konnte einfach nicht sein! Lew Nikolajewitsch war kein Mensch, der einfach weglaufen würde!
    »Wo sind Sie?«, stöhnte Matwej Benzionowitsch. »Mir ist übel, ich habe Angst!«
    Als sich lautlos eine dunkle Gestalt von der Mauer der Kapelle löste, kreischte der erschöpfte Ermittler auf, weil er glaubte, der schreckliche Verfolger hätte ihn überholt und erwarte ihn nun dort vorn.
    Aber nein, den Konturen nach zu urteilen war das Lew Nikolajewitsch. Schluchzend stürzte Berditschewski auf ihn zu.
    »Gott. . . Gott sei Dank! Ich glaube, o Herr, ich glaube! Warum haben Sie denn nicht geantwortet? Ich dachte schon . . .«
    Als er sich seinem Kampfgefährten näherte, stieß er hervor:
    »Ich . . . Ich weiß nicht, was das war, doch es war furchtbar. . .. Ich glaube, ich verliere den Verstand! Lew Nikolajewitsch, mein Lieber, was ist das nur? Was ist mit mir?«
    Da wandte die schweigsame Gestalt ihr Gesicht dem Mondlicht zu, und Berditschewski verstummte bestürzt.
    Lew Nikolajewitschs Antlitz hatte eine eigenartige Metamorphose erfahren. Die Züge waren dieselben, doch sein Antlitz war kaum merklich und gleichzeitig ganz deutlich verändert.
    Sein sanfter, freundlicher Blick war funkelnd und drohend, die Lippen kräuselten sich in grausamem Spott, die Schultern waren gestrafft, eine scharfe Falte durchzog seine Stirn wie die Spur eines Dolchs.
    »Das hier«, erwiderte der bis zur Unkenntlichkeit veränderte Lew Nikolajewitsch mit pfeifender Stimme, während er sich mit dem Finger an die Schläfe tippte. »Das ist mit dir, mein Freund, übergeschnappt bist du. Du siehst wirklich idiotisch aus!«
    Matwej Benzionowitsch wich erschrocken zurück, und Lew Nikolajewitsch, dessen linke Wange leicht zuckte, fletschte seine bemerkenswert weißen Zähne und schrie dreimal triumphierend:
    »Idiot! Idiot! Idiot!«
    Erst jetzt erfasste Berditschewski mit dem letzten Zipfel seines rasch

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