Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
Wenn man im Osten ist, stellt man sich uns alle hier als eine einzige Gruppe vor, und die Leute im Osten tun das ganz sicher. Für sie sind wir die Barbaren des Westens. Ich habe in Innanigan sogar mit einem Shumai zusammengewohnt.«
Der Axtschwinger lachte. »Wir kommen recht gut ohne Frieden aus, Pelbar. Möchtest du, daß wir alle Weiber werden oder uns von Weibern beherrschen lassen wie ihr? Was ist so großartig am Frieden?«
Jestak legte die Handflächen an die Brust. »Ich bin vermutlich ein Mann ohne Stamm. Die Pelbar sind engstirnig, die Shumai zu sehr darauf aus, ohne Grund zu töten, und die Sentani, die irgendwo dazwischen liegen, sind so damit beschäftigt, die Shumai zu meiden und ihrem alten Lebensmuster zu folgen, daß sie sich niemals ändern. Ich verstehe es nicht.«
»Da ist nichts zu verstehen. Es ist eben so. Du solltest es nicht in Frage stellen. Ich habe übrigens bemerkt, daß du niemanden getötet hast. Ich schulde dir also niemanden. Aber glaube nicht, daß ich dich verschonen werde, wenn wir uns wieder begegnen.
Bis dahin viel Glück! Und leb wohl! Mein Name ist Waldura.«
»Leb wohl! Ich heiße Jestak.« Die beiden Männer streckten ihre rechten geöffneten Hände aus und drückten die Handflächen im Abschiedsgruß der Shumai dreimal aneinander. Dann wandten sie sich den Rücken zu und gingen zu ihren Völkern zurück.
Die Protektorin war verblüfft. Sie hatte, wie Jestak vermutete, die ganze Episode von ihrem oberen Fenster aus beobachtet und voll Staunen die kurze Unterhaltung zwischen Jestak und dem Axtschwinger am Mitteilungsstein mitangesehen, wie sie entspannt dastanden, gestikulierten und sich schließlich mit dem Abschiedsgruß der Shumai trennten. Sie saß in der sich verdichtenden Dämmerung und bemerkte nicht einmal, daß Comm ihr dampfenden Buschtee brachte und ihn schweigend neben ihr auf den kleinen Tisch stellte. Lange, nachdem er sich zurückgezogen hatte, roch sie den Tee und nahm schließlich einen Schluck. Er war fast kalt. Sie war eine kluge Frau, die ihre Stellung seit vielen Jahren durch Entscheidungen hielt, die bei den Pelbar als weise galten, und indem sie die straffe Organisation der Stadt, oh-ne nachzulassen, zu ihren Pflichten anhielt. Aber das hier war etwas Neues. Es war vielleicht durch Pelbarigans Idee eingeführt worden, mit den Völkern im Osten Verbindung aufzunehmen, um Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Sie hatten Angst bekommen, weil die Stammesvölker anscheinend zahlenmäßig wuchsen – nicht schnell, aber stetig. Die Pelbar mit ihren strengen Sitten und ihrer strikten Geburten-kontrolle blieben hingegen mehr oder weniger gleich.
Irgendeine Veränderung war sichtlich notwendig, aber nach endlosen Diskussionen hatten sich die vor-sichtigen Pelbar immer noch nicht entschließen können, was sie tun wollten. Eine Freigabe der Geburten würde das Gesellschaftssystem zerstören, die Frauen übermäßig beanspruchen, die zur Verwaltung gebraucht wurden und ein gewaltiges Projekt erforderlich machen, wie zum Beispiel den Bau einer neuen Stadt. Die einzigen Bauplätze waren weit von Threerivers, Pelbarigan oder Nordwall entfernt. Die Bauar-beiter, die bedächtig und mit Pelbar-Perfektion schafften, wären ungeschützt. Es war eine unannehmbare Lösung. Auch die bestehenden Städte konnte man nicht so leicht erweitern ohne einen gewaltigen Arbeitsaufwand, der wenig einbrachte und ohne Gefährdung der Nahrungsmittelvorräte ihrer empfindlichen Wirtschaft nicht zu bewältigen war.
Die Pelbar betrieben nämlich fast keine ungeschützte Landwirtschaft, und ihre Feinde waren mit Nahrungsmitteln nicht sehr freigebig; sie tauschten größ-
tenteils Rohstoffe, die sie in der Wildnis gesammelt hatten.
Aber jetzt hatte sie diese Abweichung miterlebt. Jestak. Das Projekt mit den Städten im Osten sollte eindeutig eine Veränderung herbeiführen. Aber die Ver-
änderungen, die kommen sollten, hatte man geplant, und sie waren nicht so eingetreten wie geplant. Obwohl es gegen die Gewohnheit der Pelbar ging, wür-de der Rat von Jestak Informationen über das verlangen müssen, was geschehen war. Er hatte über die Sache weitgehend geschwiegen. Seine Gründe waren nicht klar. Vielleicht hatte er etwas Unehrenhaftes getan, zu dem er sich nicht bekennen wollte. Vielleicht war eine Situation entstanden, die zum Tod seiner Gefährten geführt hatte, und er wollte weder über die Planer Schande und Tadel bringen, noch den Familien Schmerz zufügen – hier den Brunag
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