Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
–, und so nahm er sein Recht auf Schweigen in Anspruch.
Aber einen Sentani als Freund und Gefährten nach Nordwall zu bringen, was noch nie geschehen war, und dann mit einem feindlichen Shumai anscheinend von gleich zu gleich zu reden – nichts dergleichen hatte man ihres Wissens je gehört. Sie hob einen kleinen Stab auf und klopfte auf eine hohle Holzröhre, die neben ihrem Stuhl hing. Bald erschien Comm hinter der mit einem Vorhang verhängten Tür zum äußeren Zimmer. »Comm, der Tee ist kalt.«
»Ja, Protektorin.« Er nahm die Tasse weg, ohne ihr zu sagen, daß sie seit einem halben Quadranten hier gestanden hatte. »Möchtest du frischen?« fragte er.
»Nein. Hol mir Manti!« Comm verbeugte sich und ging. Es dauerte nicht lange, bis der Leiter der Verteidigungsanlagen ins Zimmer der Protektorin geführt wurde. Er verbeugte sich tief. »Setz dich, Manti«, sagte sie, »und erzähl mir, was am Mitteilungsstein vorgefallen ist!«
Nachdem Manti das getan hatte, soweit er dazu in der Lage war, bemerkte sie: »Er hat also nicht wortgetreu übersetzt, was du gesagt hast?«
»Nein, Protektorin. Aber wenn es mir erlaubt ist, eine Beobachtung anzubringen ...«
»Ja, Manti. Bestehe nicht auf unseren Zeremonien.
Hier gibt es mehr, was ich verstehen muß. Sprich frei heraus, ich werde es dir nicht verübeln!«
»Ja, Protektorin. Nachdem Jestak ihn ›Fischbauch‹
genannt hatte, schien er mehr Achtung vor ihm zu haben. Besonders natürlich, als er sah, wie die Leichen hergerichtet waren.«
»Fischbauch?«
»Ja, Protektorin. Ich hatte ihn mit ›Ehrenwerter Shumai‹ angesprochen, und Jestak übersetzte das mit ›Fischbauch‹. Ich muß sagen, so weit ich es verstand, war es, wenn auch schockierend, eine gute Antwort auf die typischen Shumai-Beschimpfungen.«
Die Protektorin kam einem Lächeln so nahe wie nie zuvor, seit Jestak gekommen war. »Aber die Pelbar lassen sich nicht so gehen. Das ist unklug und undi-plomatisch.«
»Ja, Protektorin. Ich glaube jedoch, in diesem Fall ließ sich Jestak, wenn ich so sagen darf, nicht gehen, er benützt vielmehr eine diplomatische Methode, die bei den Außenstämmen üblich ist und mit der er vertraut ist. Er sagt, sie sind auf ihre Weise Leute von Ehre, sogar die wilden Shumai.«
»Du sagst Manti, daß Jestak wußte, wie die Shumai im Nordosten ihre Toten begraben. Wo streifen sie herum?«
»Jestak sagt, westlich des Bittermeeres, aber ich weiß nicht, wo das ist.«
»Das Bittermeer. Ich habe davon gehört, als Ge-rücht in dem Bericht über eine Friedenswoche. Das Bittermeer. Das gibt es also, und Jestak war dort.
Manti, ich glaube, wir müssen mit einer Gewohnheit brechen. Wir müssen von Jestak verlangen, daß er uns einen ausführlichen Bericht über alles gibt, was sich in den Jahren seiner Abwesenheit ereignet hat.
Wir müssen darauf bestehen, daß er das Schweigerecht aufgibt und ihn vor allen Beschimpfungen und jeglicher Verfolgung schützen, die ihm widerfahren könnten, wenn er spricht.«
»Aber Protektorin, glaubst du ...?« Aber sie hatte die Hand erhoben und Schweigen geboten.
»Manti, du benimmst dich wie ein alter Mann, zappelst herum und verneigst dich ständig. Ich weiß noch, wie du mich Sima nanntest, und zwar mit einiger Zärtlichkeit. Nun denke bitte an die Offenheit jener Zeit und sprich so mit mir wie damals, ohne Rücksicht auf Höflichkeit oder Stellung! Ich würde das zu niemandem sonst sagen und möchte auch nicht, daß es über dieses Zimmer hinausdringt. Sag mir genau, was du denkst, alter Manti der Gewürz-büsche!«
Der Mann errötete, und schließlich stand die Protektorin auf und ging zu ihm. »Umarme mich, Manti, und erzähle es mir dann. Wir haben diese Ungehö-
rigkeit einmal begangen, ohne viel an die Pelbar-Vorschriften zu denken, weißt du noch? Ich gestatte es nicht nur, ich verlange es! Sag mir genau, alter Manti, was dein Kopf denkt, und nicht deine Höflichkeit.«
Und Manti murmelte an ihrer Schulter: »Ich glaube, Sima, daß Jestak ein Mann von großen Fähigkeiten ist. Ich weiß, daß er viel durchgemacht hat, denn ich habe einige von seinen Narben gesehen. Er hat ei-ne schnelle Auffassungsgabe und kann gebieterisch sein, wie ich es bei einem Pelbar-Mann noch nie erlebt habe, obwohl es bei den Außenstämmen recht üblich ist. Ich glaube, wir müssen auf ihn hören.
Vielleicht ist er der erste Hauch einer Klimaveränderung für den Westen. Vielleicht wird es eine Veränderung zum Schlechteren. Aber er läßt im
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