Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
Winnt war der fünfzigste Mann. Von den Türmen von Nordwall erschallte Hörnertuten, und das Haupttor, das die Sentani noch nie offen gesehen hatten, hob sich langsam und knirschend. Heraus marschierten zwanzig Mann der Pelbar-Garde im Gleichschritt. Die Sentani hatten das noch nie gesehen, und es machte sie etwas nervös, aber sie taten so, als sei es ein Tanz.
Manti sprach als erster: »Wir von den Pelbar in Nordwall begrüßen euch aus Anlaß der Hochzeit von Winnt und Ursa und heißen euch in unserer Stadt und unserem Tempel willkommen. Wir sind unbewaffnet. Ihr könnt eure Waffen drinnen ablegen. Bitte begleitet uns zum Tempel.«
»Wir nehmen euer Angebot mit Freuden an und vertrauen auf seine Aufrichtigkeit«, gab Willton zu-rück.
Die Gruppe betrat die Stadt, was für die Sentani ei-ne ganz neue Erfahrung war, denn jetzt sahen sie genauer, wie die Steine ineinander verschlungen und zusammengepaßt waren, so daß sie ein einziges Stück ergaben und kein Stein allein von der Stelle bewegt werden konnte. Sie legten ihre Waffen mit einigem Zaudern ab, aber das Haupttor blieb offen, wenn auch bewacht. Sie gingen einen langen, schwach er-leuchteten Korridor hinunter, bogen nach rechts ab und kamen durch einen zweiten, langen Korridor und traten hinaus in einen Hof und zu den großen Bronzetoren des Pelbartempels. Die Sentani hatten noch keine solchen Steinmetzarbeiten gesehen, kein so massives Gebäude und auch keinen so ausge-dehnten und hingebungsvollen Versuch, etwas Schö-
nes zu schaffen. Im Inneren sahen sie, daß man ver-schwenderisch Pelbarglas in verschiedenen Farben verwendet hatte, um den Innenraum mit buntem Licht zu überfluten. Der große Steinfußboden war mit gewebten Binsenmatten belegt, aber die an den Wänden aufgestapelten Bänke ließen erkennen, daß diese Zeremonie im Stehen abgehalten werden sollte. Auf einer Galerie zur Rechten standen Musiker und Sänger. Als die Gruppe eintrat, spielten Flöten ein Lied mit einer Melodie, die den Besuchern sehr fremd war.
In einem besonderen, hohen Abteil über den Sängern konnten die Besucher eine kostbar und feierlich gekleidete, alte Frau sehen, deren Haar zu drei Knoten aufgesteckt war. Sie neigte den Kopf vor ihnen, und Willton gab den Gruß zurück, weil er begriff, daß das die Protektorin von Nordwall sein mußte. »Sieh sie dir an, von einer Frau werden sie beherrscht«, murmelte er Mokil zu.
»Nach viel sieht sie ja nicht aus«, flüsterte der zu-rück.
Inzwischen murmelte die Protektorin der Westrätin neben sich zu: »Schau nur hinunter, Nois, sieh dir an, wem wir Ursa geben wollen. Wie konnten wir damit einverstanden sein?«
Ommu begann mit der Trauung, indem sie die Sänger zu einer Hymne aufforderte, die diese viel-stimmig zum besten gaben, die Ohren der Sentani waren ganz betäubt davon, weil sie noch nie zuvor verschiedene Stimmengruppen in harmonischem Zu-sammenklang gehört hatten.
Hierauf begrüßte Ommu die Besucher mit einer tiefen Verneigung und begann: »Wir von Nordwall möchten zu diesem noch nie dagewesenen Anlaß die Sentani von Koorb in unserer Stadt willkommen hei-
ßen. Möge der Segen Avens auf euch ruhen, euch sicher den Fluß hinunter zu euren Familien geleiten, euch eine gute Jagd, Anglerglück, viele Kinder, Sicherheit und Wohlstand sowie Gerechtigkeit und Gnade bescheren euer ganzes Leben lang.« Dann wandte sie sich Cipi, der Südrätin zu und sagte: »Bist du gewillt, Ursa, die so viele Jahre unter deiner Verantwortung gelebt hat, Winnt zu geben, dem Sentani von Koorb, und ihn ihr, so daß einer dem anderen gehören möge?«
Als wortlose Antwort darauf führte Cipi Ursa zu einer Tür auf der rechten Seite herein und brachte sie zu Winnt. Sie war überraschenderweise viel einfacher gekleidet als am Tag zuvor, trug eine lange, schwarze Robe ohne Verzierungen und war barfuß. Man hatte die Zeremonie abgewandelt, weil Winnt kein Pelbar war, deshalb war die Trauung keine Zeremonie, bei der er sich ihr unterwarf, und man sah davon ab, daß sie ihm als öffentliches Zeichen ihrer Herrschaft in der Familie den Fuß auf den Rücken stellte. Statt dessen bekam Winnt eine Kerze, die er mit Stein und Stahl anzündete, dann brannte er eine Seite einer in der Mitte stehenden Kerze mit zwei Dochten an. Ursa entzündete die andere Hälfte. Nun nahm Ommu ein erhitztes Messer und trennte die beiden Kerzen, so daß die Dochte einzeln brannten. Schließlich nahm sie beide Kerzen, hielt sie über ein kleines Holzkohlen-feuer,
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