Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
vorbeikam. Das übrige ging sehr schnell. Das Wasser stürzte tosend vorbei und riß an mir. Es stieg auch.
Ich hörte schwache Schreie, und als ich gerade fortge-rissen zu werden drohte, packte jemand meinen Arm.
Mehrere Shumai waren da, die eine Kette bildeten.
Ich und der nächste Mann verloren den Boden unter den Füßen, aber keiner ließ los, und so zogen wir die Person ans Ufer. Es war eine junge Frau, sehr schön – besonders, weil das Wasser ihr die Kleider vom Leibe gerissen hatte.«
»Die Einzelheiten kannst du mir ersparen, Jestak.«
»Einzelheiten, Protektorin?« grinste Jestak. »Das war schon der Hauptteil.«
»Ja, ja. Sprich weiter!«
»Sie atmete nicht, Protektorin, und einer der Shumai neigte den Kopf zu ihr hinunter und sagte, ihr Geist sei von ihr gewichen, aber ich bestand darauf, sie ins Leben zurückbringen zu dürfen, und so wandte ich eine Methode an, die man in Salzstrom hat, ich blies ihr in Abständen in den Mund, um ihr Atem zu spenden, und nach einiger Zeit kam sie wieder zu sich.«
»Und dafür haben dich die Shumai-Wilden am Leben gelassen?«
»Nun ja. Sie waren nicht sehr glücklich darüber, aber es verwirrte sie auch, ausgerechnet hier einen verirrten Pelbar vorzufinden, und sie wußten nicht, was sie davon halten sollten, daß ich das Mädchen gerettet hatte. Du weißt ja, wie sie sind. Sie sagten, da ich ihnen einen Dienst erwiesen hätte, würden sie mir vielleicht nur einen Arm abschneiden. Dann baten sie mich, ihnen zu sagen, welchen Gefallen sie mir tun sollten. Ich meinte, sie sollten mir nicht vor Aufgang des Mondes folgen. Damit waren sie einverstanden und sagten, dann würde es mehr Spaß machen, mich zu töten, denn ›Niemand läuft schneller als die Shumai‹. Ich machte natürlich keinen Versuch, ihnen da-vonzulaufen. Ich schwamm ihnen einfach davon, denn der Heart war nicht weit, und er ist dort oben doch schon ein großer Fluß. Ich lief bis zum Einbruch der Nacht am Ufer entlang und schwamm dann ganz leise. Nicht einmal ihre Hunde fanden meine Spur, und sie konnten sich nicht vorstellen, daß sich jemand stundenlang im Wasser aufhielt.«
»Und das war alles, Jestak?«
»So ungefähr, Protektorin.«
»Wie hieß das Mädchen, Jestak?«
»Tia, Protektorin.«
»Das haben sie dir also gesagt?«
»Sie hat es mir gesagt, Protektorin.«
»Tia.« Die Protektorin schaute in ihre leere Teetas-se. »Wird sie zur Friedenswoche kommen?«
»Ich weiß es nicht, Protektorin. Ich habe ihren Bruder Mogan im letzten Herbst bei der Friedenswoche in Pelbarigan gesehen und sogar mit ihm gesprochen, aber sie selbst war nicht dabei. Es war eine große Enttäuschung für mich. Als ich mich nach ihr erkundigte, sagte Mogan, es ginge ihr gut.«
»Da hat er dir ein großes Zugeständnis gemacht.«
»Ja, das stimmt. Ich erriet, daß sie später zu der Ansicht gekommen waren, sie hätten ein wenig Dankbarkeit zeigen sollen. Aber du weißt ja, Protektorin, das können sie wirklich nicht. Ihre gewohnte Prahlerei ist manchmal selbst für sie zu viel.«
»Dann wissen sie also nicht, daß du in Nordwall bist?« fragte sie neckend. »Wie schade für dich, Jestak. Du wirst die Dame deines Herzens nicht wiedersehen. Aber ich habe eine gute Frau für dich ausgewählt, weißt du, und vielleicht gebe ich dir den Befehl, ihr für immer zu dienen.«
»O je, Protektorin. Würdest du das wirklich tun?
Ich dachte, dieses Vorgehen sei aus der Mode gekommen?«
»Nein, Jestak, das würde ich nicht tun. Wir haben hier genügend Intrigen, auch ohne daß ich noch weitere anzettle. Ich werde warten, bis ein Mädchen so verrückt ist, daß es zu der Ansicht kommt, so ein Wildling wie du sollte ihr dienen.«
»Vielleicht wird es keine solche Närrin geben, Protektorin.«
»Vielleicht, aber ich zweifle daran. Du bist auffal-lend. Inzwischen möchte ich dir sagen, daß eine wilde Shumai, die hier als deine Frau lebt, das letzte ist, was wir in der Zitadelle brauchen können. Du solltest diese romantische Grille also möglichst schnell vergessen.«
»Ich habe sie nur ein halbes Sonnenviertel lang gesehen, Protektorin.«
»So lange. Und natürlich hast du sie nur vor dem Vergessen gerettet und ihr den Lebensatem zwischen die Lippen zurückgeblasen – während sie dalag und kaum etwas am Leibe hatte. Ich setze voraus, daß sie überhaupt etwas anhatte. Hatte sie?«
»Natürlich haben die Shumai sie sofort zugedeckt, obwohl sie in solchen Dingen nicht so zimperlich sind wie wir. Sie war fast am
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