Pelbar 4 Der Fall der Muschel
hin!«
Gamwyn gehorchte. Sie fesselte ihm die Hände nicht wieder. War das eine Lüge gewesen? Waren sie in Eile und daher unvorsichtig, oder betrachteten sie ihn wirklich als hilflos? Während er darüber nachdachte, schlief er ein, dann erwachte er in der Mit-tagshitze, als der mittlere Gardist ihn am Bein schüttelte und ihm ein rundes Stück Hartbrot reichte. Sie ließen das Kanu treiben, während sie aßen und aus einer Flasche kalten, mit Honig gesüßten Tee tranken.
Als Gamwyn die Flasche weiterreichte, fing er von dem Mann vor sich einen seltsamen Blick auf. War es Mitleid? Er war nicht sicher.
»Was hast du in deinem Beutel?« wollte der Mann wissen.
»Ein kleines Klappmesser, das sie mir geschenkt haben – und nur ein bißchen Salz.«
»Salz?«
»Ja. Sie sagten, ich soll zu jeder Mahlzeit eine Prise voll nehmen. Warum, weiß ich nicht.« Gamwyn öffnete das Säckchen, nahm ein wenig von dem Pulver zwischen Daumen und Zeigefinger und legte es sich auf die Zunge. Der Mann griff danach und probierte.
»Sehr schön«, sagte er. »Wir werden uns heute abend etwas davon für unseren Eintopf ausborgen.«
Er gab das Säckchen zurück.
»Laßt mir nur bitte auch etwas übrig«, sagte Gamwyn. »Mehr habe ich nicht. Bis die Ursana mir sagt, was ich tun soll.«
»Sie ist abgelöst worden.«
»Die Ursana? Warum?«
»Deinetwegen, du Störenfried. Du hast einige Ver-
änderungen ausgelöst.«
»Gind«, sagte der Gardehauptmann. »Laß den Balg in Ruhe! Wir sollten lieber weiterrudern, wenn wir heute abend die Pigeon-Insel erreichen wollen.«
Gamwyn legte sich wieder zurück und dachte, er verstünde jetzt den ganzen Plan der Protektorin. Ret griff nach seinem Beutel, nahm das kleine Messer heraus und schob es in die Tasche ihrer Tunika.
Der Sonnenuntergang und ein kühler Wind kamen früh, wie es schien, und es dämmerte, ehe sie die Insel erreichten.
Am Nachmittag hatten sie ihr Trockenfleisch ein-geweicht, und Gamwyn hatte die Kartoffeln schälen müssen, die sie in Pelbarigan bekommen hatten. Sobald sie am Ufer waren, schickten sie Gamwyn los, um Knöchelwurz und wilde Zwiebeln für den Eintopf auszugraben. Gind schüttete einen großen Teil des Schlafmittels der Protektorin in den Kessel, lä-
chelte Gamwyn an und sagte: »In Threerivers haben wir sicher genügend Salz für dich – außer, wenn du zuviel heulst.«
Gamwyn lächelte zurück und täuschte Schläfrigkeit vor. Als Gind ihm schließlich eine Schale mit dampfendem Eintopf zuschob, schien er sie nur ungern zu nehmen, tat es aber dann doch, aß ein wenig und konnte das meiste von dem Gericht in die trok-kenen Blätter hinter sich schütten und es damit zudecken.
Die Gardisten waren hungrig und vertilgten gewaltige Mengen, streckten sich dann und legten sich nieder, zuvor sprachen sie noch die üblichen Gebete an Aven. Gind fesselte Gamwyn Hände und Füße und half ihm in seinen Schlafsack. »Schlaf ruhig, mein Junge, wenn noch Schlaf in dir ist«, sagte er.
»Gind, ich übernehme die erste Wache«, sagte Ret.
»Ich wecke dich ein Viertel vor Mitternacht.«
Gamwyn sah ihr zu, wie sie das Feuer schürte. Die Männer schliefen fast sofort ein. Ret stand auf und schüttelte den Kopf, dann schlenderte sie zum Wasser hinunter und bespritzte sich das Gesicht. Danach kam sie zurück, hockte sich neben das Feuer und warf Zweige hinein. Dann lehnte sie sich zurück und sackte binnen kurzem in todesähnlichem Schlaf zusammen. Gamwyn kroch aus dem Schlafsack und rieb seine Fesseln an der Kante des eisernen Koch-topfs, den er, mühsam kriechend, in die Dunkelheit hinaustrug. Bald war er frei. Seinen Schlafsack rollte er locker zusammen und warf ihn ins Kanu. Er wollte es gerade hinausschieben, als ihm sein Messer einfiel.
Mit stark klopfendem Herzen ging er zu Ret zurück und zog es ihr aus der Tasche. Sie bewegte sich ein wenig. Er nahm ihren Schlafsack und breitete ihn vorsichtig über sie. Wieder regte sie sich. Gamwyn nahm zwei Paddel aus dem Boot, steckte sie in den Ufersand, holte sich das mit Salz vermischte Schlafmittel zurück und schob dann, eine rohe Kartoffel im Mund, das Kanu in den Fluß. Während er ruderte, kaute er sie langsam. Von seiner Backe strahlte immer noch ein dumpfer Schmerz aus.
Er war vielleicht noch dreißig Ayas oberhalb von Threerivers und wußte, daß er in der Dunkelheit an der Stadt vorbeifahren sollte, noch vor der Morgendämmerung. Aber nachdem er sich aus Leibeskräften angestrengt hatte, sah er, daß es im
Weitere Kostenlose Bücher