Pelbar 6 Das Lied der Axt
Wasser und Dampf stürzen aus dem Boden hervor. Ziemlich hoch oben.
Ich wollte dort immer einmal hin. Vielleicht tue ich es noch ... aber überall, wo ich hinkomme, sagen die Leute, daß niemand das Eis überqueren kann.«
»Das ist auch unmöglich. Viele haben es versucht.«
»Ich werde es tun. Tris auch – nicht, Tris?«
Tris schluckte erst seinen Bissen hinunter. »Vermutlich«, murmelte er dann.
»Wir haben von Leuten gehört, die Kinder verschleppen. Sie überqueren es doch auch. Wenn die das können ...«
»Sie kommen mit Seilen herunter. An Stellen, die niemand je erstiegen hat«, sagte Fenbaker. »Viele haben es schon versucht. Einige sind dabei ums Leben gekommen. Schließlich rauben sie unsere Kinder. Sie töten Menschen, brennen Farmen nieder und nehmen ein wenig Kleidung mit, aber hauptsächlich Kinder.
Du kannst dir vorstellen, in welch rasende Wut das die Eltern bringt – und wie sie sich danach sehnen, ihre Kinder zurückzubekommen. Aber es ist noch niemandem gelungen. Das Eis ist brüchig und ange-taut durch die heißen Quellen. Es bricht ab.«
»Wie machen es denn die?«
»Das sehen nur wenige. Sie kommen und gehen sehr schnell. Aber soviel wir wissen, haben sie eine Reihe von langen Seilen und lassen sie in Etappen herunter, und an jeder Etappe stehen Männer und halten Wache. Sie nehmen die Seile mit hinauf und lassen sie erst wieder herunter, wenn die Männer zu-rückkommen.«
»Und die Kinder ziehen sie hinauf?«
»Das nehme ich an. Meistens nachts.«
»Kinder«, überlegte Tor. »Aus irgendeinem Grund müssen sie zu wenig Kinder haben. Für Kinder ist es ein großes Risiko. Im Westen kann das Eis nicht so breit sein.«
»Warum meinst du?«
»Wenn wir den ganzen Weg, den wir gekommen sind, so viele Seile getragen hätten, hätten wir es niemals geschafft. Was habt ihr denn für Verteidigungs-anlagen? Ihr solltet eigentlich in der Lage sein, sie aufzuhalten.«
»Nicht viele. Wir haben welche gebaut und Wachen aufgestellt, aber es kann sein, daß sie sieben oder acht Jahre lang nicht kommen. Die Aufmerksamkeit läßt nach.«
Tor lachte. »Es ist wie unten am Heart. Manche Stellen werden im Frühjahr überschwemmt, aber nicht oft. Nach einer großen Flut ziehen die Menschen weg. Verlegen die Fischerlager, die Schlachtla-ger. Dann denken sie: ›Ach ja. Solange ich lebe, kommt keine so große Flut mehr‹ und sie gehen wieder zurück. Und das Wasser reißt wieder alles weg.«
»Aber die Pelbar sind anders«, sagte Tristal. »Sie leben am Fluß, sehen sich aber wirklich vor.«
»Ich verstehe kein Wort von dem, was ihr sagt«, meinte Freifrau Fenbaker.
»Weit entfernt, im Südosten des Landes ist der Heart-Fluß«, erklärte ihr Tor, und seine Augen schienen sich träumerisch zu verschleiern. »Er sammelt das Wasser aus einem Gebiet von Urstadge, das so groß ist, wie man es sich nur schwer vorstellen kann.
Ich habe mehr als tausend Kilometer, wie ihr die Kiloms nennt, dieses Flusses befahren – und Tris mindestens siebenhundert. Wo die Pelbar wohnen, ist der Fluß mehr als einen Kilometer breit, aber nicht tief. Er muß noch mehr als tausend Kilometer weiterfließen, bis er das Salzmeer im Süden erreicht. Noch mehrere große Flüsse müssen sich hinein entleeren. Wenn man sieht, wie er immer weiterfließt, so gewaltig, so ruhig, und doch manchmal im Frühjahr ansteigt und ganze Inseln mit allen Bäumen wegreißt, das ist ...
sehr bewegend.
Im Winter kommen die Adler, dann Tausende von Enten und Gänsen. Sie ziehen im Frühling nach Norden, zusammen mit den Seemöwen, und dann kehren die Geier zurück, kreisen über dem Fluß und segeln auf den Winden über die Uferfelsen. Ach ja. Und im Fluß gibt es Fische so groß wie ein Mann. Ringsum wachsen natürlich überall dichte Bäume bis nahe ans Wasser heran, sie hängen über, stehen im Wasser, und alle sind großblättrig wie eure Espen oder Bir-ken. Fast keine Nadelbäume.«
»Aber es würde euch nicht gefallen«, sagte Tristal.
»Es ist heiß und voller Insekten. Überall gibt es Moskitos.«
»Davon haben wir auch genug«, sagte der Richter.
Dann überlegte er. »Ist das alles wahr? Warum seid ihr dann so weit fortgezogen?«
Tristal schnaubte. »Tor muß ständig unbedingt wissen, was jenseits des Horizontes ist«, sagte er.
»Tristal hat es allmählich satt«, erklärte Tor. »Besonders nach dem Eis. Anscheinend stoße ich überall auf Schwierigkeiten, wohin ich auch komme. Das hier ist keine Ausnahme, nicht
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