Pelbar 6 Das Lied der Axt
verletzt.
Tor hatte den Pfeil abgeschnitten und vorsichtig her-ausgeholt, noch während der Mann in der Eisspalte lag, und das Blut so gut gestillt, wie es ging, indem er die Wunde fest verband.
Den Verband nahm er jetzt ab, um sich die Verletzungen noch einmal anzusehen. Im schwachen Licht des Feuers blickte er zu den anderen auf. Die vier ge-fesselten Frauenräuber sprachen leise miteinander.
Tor verband die Wunden von neuem und versuchte es dem Mann bequem zu machen. Dann legte er sich den Mann mit der Kopfwunde auf den Schoß, holte sein Pelbarklappmesser heraus und begann, die Haare um die Wunde herum abzurasieren. Der Mann beschimpfte ihn. »Vous êtes un esclave«, murmelte er.
»Un chameau. Un porceau. Jean, est-ce que c'est un porceau? Ah, oui. Alors, mes amis, j'ai pieds et poings liés, mais les cordes sont mal tendues. Après que ce chameau-ci se sera endormi, je serai libre.«
»Halt still!« sagte Tor und runzelte die Stirn. »Ich werde jetzt die Wunde nähen. Das tut weh.«
»Ce n'est rien.«
»Was ist ein ›Schamo‹?«
»Vous êtes un chameau. Un gros chameau ...
ahhhhhh.«
»Und ungeschickt auch noch. Halt still! Ich mache mir Sorgen um deinen Freund. Große Sorgen. Er ist nicht in guter Verfassung.«
Ehe Tor zum nächsten Mann weiterging, prüfte er die Fesseln seines Patienten, fand sie locker und zog sie nach. Der Mann fuhr fort, ihn zu beschimpfen.
Die Armverletzung war ebenfalls ziemlich tief. Tor wusch sie aus und ließ sich von Emily eine Schale mit heißem Wasser halten. Sie drehte den Kopf weg, die Lippen nach unten gezogen. Tor gab dem Mann einen Lederriemen, auf den er beißen konnte, dann nähte er die Wunde. Schließlich wischte er ihm den Schweiß von der Stirn.
Der Mann, den Tristal mit einem Stich ins Bein be-wegungsunfähig gemacht hatte, hatte ebenfalls viel Blut verloren. Auch er beschimpfte Tor, während der Shumai ihn versorgte und ihn sanft und wohlwollend anlächelte. Dann kehrte er zum ersten zurück, wiegte dessen Kopf an seinem Bein und wickelte ihn sorgfältig in die Decken, die sie aus der Eisspalte mitgebracht hatten. Als Emily Eintopf brachte, den Bob ge-kocht hatte, fütterte Tor den Mann löffelweise und wischte ihm gelegentlich den Mund ab. Die anderen starrten ihn zornig an.
»Emily«, fragte er. »Welcher ... wer ist derjenige?«
Sie deutete auf den unverletzten Mann, dann wich sie zurück und weinte.
»Es tut mir leid. Ich dachte mir schon, daß es der ist. Der Feigling. Verläßt sich auf seine Freunde. Muß ein ziemlich komfortables Elternhaus haben.«
»Sprich nicht davon!« sagte Tristal.
»Das hat er. Sein Onkel ist Nordsektorrichter.«
»Großonkel«, murmelte der Schwerverletzte. »Son oncle est éleveur de moutons. Et ce n'est pas un pol-tron.«
»Ruhig jetzt! Reg dich nicht auf!« sagte Tor. Er hatte die Armbrust in der Hand und studierte sie.
»Tris, ich glaube, die könnte ich brauchen«, sagte er.
»Besonders heute nacht. Ich halte Wache. Bob, du löst mich vielleicht ab. Die anderen können schlafen. Du, wie heißt du?«
»Ça ne vous regarde pas.«
»Er heißt Roland. Roland Thebeau. Oh, Roland, es tut mir so leid, daß es dir schlecht geht. Aber es mußte so kommen, ihr verdammten Hitzköpfe«, sagte Emily.
»Nicht unbedingt. Hatten nicht an les hommes sauvages gedacht«, murmelte Roland.
Tristal schaute empört zu Tor hinüber. Tor hob leicht die Schultern. »Du siehst, wie es ist«, sagte Tristal. »Ich möchte nur wissen ...«
»Ich glaube nicht«, sagte Tor. »Die Leute sind auch noch da.«
»Sie sind schwer von den Schafen zu unterschei-den.«
»Wovon redet ihr beiden?« fragte Bob in strengem Ton.
»Über die Zukunft. Nur über die Zukunft«, beruhigte ihn Tor.
»Ihr redet Unsinn, aber kommt mir ja nicht auf dumme Gedanken. Die Obrigkeit ist auch noch da.«
»Ja. Das haben wir gehört. Und gehört. Und ge-hört«, sagte Tor.
Emily schaute ihn an. »Ich verstehe das nicht. Ich verstehe das überhaupt nicht«, sagte sie.
»Wenn du es jetzt nicht verstehst, verstehst du es nie«, meinte Tor. »Hoffentlich hast du jetzt gerade das schlimmste Erlebnis hinter dich gebracht, das du jemals haben wirst. Aber alles überfriert wieder und wird genau, wie es früher war.«
»Es wird nie mehr so sein wie früher. Nie!«
»Vielleicht. Für Roland hier sicher nicht.«
»Ich verstehe nicht, warum du so behutsam mit ihm umgehst«, sagte Tristal. »Er hat sich genug Mühe gegeben, mich zu töten.«
Tor schauderte leicht.
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