Pelbar 6 Das Lied der Axt
ist daran unsinnig?« fragte Sektorenrichter Fenbaker streng.
Tor warf Tristal einen warnenden Blick zu. »Ihr glaubt also daran. In den Gesellschaften am Heart-Fluß würde man euren Brauch, vor der Heirat schwanger zu werden, für äußerst unmoralisch und sündig halten. Ich muß gestehen, daß ich das auch finde. Das würde bedeuten, daß eure ganze Gesellschaft in alle Ewigkeit brennen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Aven oder der Herr, wie ihr ihn nennt, so etwas tun würde.«
»Und doch ...«, begann Tristal.
»Qu'est-ce que ...?« wollte Dupin wissen.
»... hat er die Zeit des Feuers zugelassen.«
»Möchte jemand noch Rüben?« fragte Freifrau Fenbaker. »Das heißt, jemand außer Tor?«
Alle lachten. »Les navets«, sagte Dupin: »Ce sont des légumes modestes mais utiles. Dans le fort de l'hiver on éruct des nevets tous les jours.«
»C'est vrai«, sagte Tor. »Und am Heart unten fliegen jetzt die Adler fort, der Junibeerenbusch ist voller weißer Blüten und die Weiden nahe am Wasser haben schon einen grünen Schleier. Aber hier ist, wie du sagst, immer noch tiefster Winter.«
Sie verstummten für einen Augenblick, dann sprachen sie weiter über die Reisen von Tristal und Tor, den Kampf um Nordwall und die verschiedenen Gebiete von Urstadge, soweit die beiden Shumai sie kannten. Tor brachte das Gespräch immer wieder auf das Eis zurück, aber alle waren der festen Meinung, es sei nicht zu ersteigen.
Fenbaker faßte zusammen, was Tor und Tristal schon in Erfahrung gebracht hatten. Das Eistal war ungefähr elliptisch. Seine felsige Nordseite wurde hauptsächlich als. Schafweide genützt. Es wurde auf allen Seiten von Wäldern, meist Nadelwäldern, eingerahmt. Eine Reihe von heißen Quellen lief an der Westseite, nahe an der Eiswand entlang. Auf der Westseite war der Regen knapp und im Osten nicht sehr reichlich. Aber man leitete Gletscherschmelz-wasser in Kanäle und sammelte es zur Bewässerung.
Erbsen, Rüben, Gerste, Heu und Hafer wurden ange-baut, außerdem Flachs für Leinenstoffe. Ein Entwäs-serungssystem leitete alles überschüssige Wasser in das Tal hinab zum See, der der Stadt des Südsektors ihren Namen gab. Obwohl der See auf der Südseite von Eis eingerahmt war, hatte er einen verborgenen Abfluß, denn im Sommer stieg er durch das Schmelzwasser an, fiel aber im Herbst langsam wieder, bis starke Fröste diesen Vorgang zum Stillstand zu bringen schienen.
Tor wollte wissen, ob das Eis weiter in das Tal vor-dringe oder eher zurückwiche, aber bisher war niemand auf die Idee gekommen, sich darum genauer zu kümmern. Das Eis war das Eis. Es war immer da-gewesen, dachten sie, und so nahmen sie es hin. Tor und Tristal hatten bei diesem abendlichen Gespräch den Horizont ihrer Gastgeber stark erweitert, aber das meiste, was sie gesagt hatten, war nicht aufgenommen worden, obwohl Dupin höchst begeistert von der Vorstellung schien, daß es irgendwo weit entfernt Menschen gab, die so sprachen wie die im Nordsektor, wo alle Frankophonen lebten.
Es war auch klar, daß Tor Dupin völlig für sich eingenommen hatte, und daß jede Verärgerung, die er wegen der Verletzung Roland Thebeaus empfunden haben mochte, verflogen war. Tor brachte es fertig, ihm vorzuschlagen, daß Thebeau von rechts wegen Emily einen richtigen Heiratsantrag machen sollte – und zwar vor der üblichen, intimen Werbung.
Dupin zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts dazu. Der Abend endete damit, daß er Tor einlud, den Nordsektor zu besuchen und seine Sprachkennt-nisse zu vervollkommnen, und ihm versicherte, er habe eine verheerende Aussprache, die dringend der Verbesserung bedürfte. Der Nordsektor war nur spärlich besiedelt und hatte nicht mehr als etwa acht-hundert Einwohner. Die anderen drei Sektoren kamen insgesamt auf weitere dreitausendfünfhundert, so daß das Volk des Eistales eines der zahlreicheren unter den Urstadge-Gruppen war, besonders für eine so kleine Region.
Dieser Abend endete damit, daß Dupin Tor und Tristal ins Gefängnis zurückbegleitete, wo sie noch untergebracht bleiben sollten, bis man einen anderen Platz für sie gefunden hatte – aber nicht mehr als Gefangene. Als er sie verließ, legte er die Hände auf Tors Arme und sagte: »Mon ami, ta présence est une affaire d'une signification très importante, et peut-être cela sera une chose importante pour notre future.«
»Tu es très bienfaisant«, erwiderte Tor lächelnd.
»J'espère que c'est vrai.«
Im gleichen Augenblick
Weitere Kostenlose Bücher