Pellkartoffeln und Popcorn
Ireen‹ zum Geburtstag drei Paar Nylonstrümpfe und eine große Dose Nescafe geschenkt, und Mami war bereit, diesen Schatz brüderlich mit ihrer Mutter zu teilen.
»Was soll das sein? Kaffee? Das glaubst du doch wohl selber nicht. Das ist doch auch wieder so was Künstliches!«
Mami setzte Wasser auf, tat Kaffeepulver in die Tasse – zur Feier des Tages holte sie sogar eine von den ›guten‹ aus Omis Porzellanreservoir – goß das heiße Wasser drüber und präsentierte das fertige Produkt. »Naja, zumindest riecht es wie Kaffee«, mußte Omi zugeben, »aber Rumaroma riecht auch wie Rum und schmeckt wie parfümierter Spiritus!« Nach dem ersten Schluck war sie bekehrt, und wenn sie künftig wieder etwas von ihren Leinen- oder Porzellanbeständen verkaufte, mußten von dem Erlös auch ein paar kleine Tütchen Pulverkaffee für sie abfallen.
26
Der Winter kam, das Thermometer fiel (um wieviel Grad, wußten wir nie, weil unseres kaputt war und immer bei minus 6 Grad Celsius stehenblieb), und hatten wir uns im Sommer hauptsächlich um Nahrungsmittelbeschaffung gekümmert, so stand jetzt die Holzbeschaffung an erster Stelle.
Wir wohnten am Wald, und ein Wald besteht in erster Linie aus Holz. Nur liegt dieses Holz nicht fertig gesägt und zerhackt herum, sondern wächst in Gestalt von riesigen Bäumen senkrecht in die Höhe, spendet Schatten und würzigen Duft, aber leider keine Wärme. Waldspaziergänge hatten wir ohnehin immer mit einer alten Einkaufstasche unternommen, in die jeder Tannenzapfen und jedes Stückchen Reisig gelegt wurde, und selbst wenn ich vom Baden zurückkam, hatte ich auch immer ein paar Holzstückchen mitgebracht.
Allerdings reichte diese Ausbeute kaum für das Zusatzfeuer im Küchenherd, wenn wir mal wieder unser Gaskontingent überschritten hatten. Außerdem sah der Wald sowieso schon aus wie leergefegt, denn die Bewohner der Innenstadt kamen täglich in Scharen und sammelten alles, was brennbar war. Mir taten sie immer leid, wenn ich sie zur U-Bahn keuchen sah, bepackt mit Rucksäcken, aus denen fingerdicke Holzstückchen herausragten, rechts und links eine Tasche, die manchmal nur mit dürrem Laub gefüllt war. Es gab in der City von Berlin kaum noch einen Baum, der nicht gefällt und in den Ofen gewandert war. Den Tiergarten hatte man ratzekahl abgeholzt, den Zoo auch, alte Möbel waren in den Ofen geflogen und jedes Brett, das man aus den Trümmerbergen hatte ziehen können. Aber der Winter war lang, und in jenem Jahr war er besonders hart.
»So geht das nicht mehr weiter«, erklärte Frau Brüning, die sich bei Mami zum Kaffee eingeladen und als Gegenleistung vier Zigaretten mitgebracht hatte. »Mein Holzvorrat reicht nicht mal mehr bis Weihnachten, und die Kohlen werden wohl schon früher alle sein.«
Fast jeder besaß noch einen geringen Bestand an Briketts. Aber der wurde gehütet wie Englands Kronjuwelen und nur im äußersten Notfall angegriffen.
»Ich habe mir auch schon den Kopf zerbrochen, wie wir an Holz rankommen«, sagte Mami, »dabei haben wir es doch praktisch vor der Haustür.«
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, daß es strikt verboten war, Bäume zu fällen. Nachts patrouillierten Polizeistreifen durch die Wälder, und wer mit Axt oder Säge erwischt wurde, bekam eine saftige Strafe aufgebrummt oder wurde sogar eingesperrt.
»Wir müssen das tagsüber machen. Wenn wir ganz offen ein paar Bäume umlegen, fällt das viel weniger auf, als wenn wir nachts im Wald herumgeistern. Außerdem hört man den Krach während des Tages nicht so deutlich. Die Kinder nehmen wir mit, die können Schmiere stehen!«
Am nächsten Tag zogen Onkel Paul, Herr Bennich und Hartmut los, um die geeigneten Bäume auszusuchen. Sie durften nicht zu groß sein, mußten möglichst abseits von Straße und Spazierwegen stehen; es durfte kein Unterholz geben, was den späteren Abtransport erschwert hätte, und der Standplatz sollte auch nicht allzu weit von unseren Häusern entfernt sein.
»Wir haben was gefunden«, verkündete Hartmut, als er sich von Tante Else eine Wäscheleine holte. »Gleich hinter der Rodelbahn, so ’n bißchen links in einer Mulde, da kann man sich platt in den Schnee schmeißen, wenn jemand vorbeikommt.«
Onkel Paul, Opi und Frau Brüning waren die ersten, die am nächsten Morgen in den Wald zogen. Sie waren kaum verschwunden, als ich zusammen mit Tante Else, Frau Hülsner und Lothchen hinterhertrottete. Die übrigen folgten in kurzen Abständen, Sägen
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