Pellkartoffeln und Popcorn
Familie Wirth. Det is eenmal normal und eenmal Anjestellten. Zweehundert und hundertfünfundzwanzig Jramm macht zusammen dreihundertfünfundzwanzig plus dreißig Jramm Verpackung, also summa summarum dreihundertfünfund- fünfzig Jramm. Annejret, nur mach det mal!« Annegret machte.
»Mit die Nährmittel wird det jetzt schwierig. Für die Hälfte steh’n Ihnen Nudeln zu, für den Rest Jrieß. Jrieß is aber alle, da müssen Se ebent Maismehl nehmen. Oder Roggenmehl, aber Mais is nahrhafter. Und wie sieht’s mit’s Fett aus? Butter ham wir jar nicht jekriecht, bloß Marjarine oder Buttschmalz. Oder woll’n Se lieber Öl? Is zwar schon’n bißchen ranzig, aber et läßt sich besser in den Länge zieh’n. So, und nu jeben Se mal die Töppe für die Marmelade her. Eins a Fünffrucht ham wir heute. Wat nu noch? Ach so, die Kartoffeln. Die vakoofen wir übermorjen, det hält heute so lange uff. Vielleicht kriejen wir sojar noch frische, im Moment jibts sowieso bloß Trockenfutter.«
Trockenkartoffeln schmeckten scheußlich. Trockengemüse erinnerte an die Grundsubstanz von Gesundheitstees, außerdem ließ sich nie genau feststellen, ob wir nun gerade Mohrrüben oder Kohlrabi aßen. Trockenmilch konnte man nur zum Kochen verwenden, Trockenei schmeckte nicht viel anders als Trockenobst, von dem Mami behauptete, es bestünde hauptsächlich aus Apfelschalen.
Während der folgenden acht oder neun Tage herrschte wieder Ruhe in Gubers Laden, es sei denn, daß überraschend eine außerplanmäßige Lieferung eingetroffen war. In solchen Fällen mußte man sich auf den Zufall verlassen, der einen Hausbewohner oder einen guten Bekannten in die Nähe des Geschäfts führte, und der dann aufgeregt zurücklief und sämtliche Klingelknöpfe drückte. »Beeilung, bei Guber gibt’s Weißkohl!« Worauf alles stehen- und liegenblieb, weil jeder sofort losrannte, um noch einen Kohlkopf zu ergattern, bevor sich der unverhoffte Gemüsesegen weiter herumgesprochen haben würde.
Bei einer solchen Gelegenheit hatte Tante Else einmal ungewollt ein anschauliches Beispiel von Kettenreaktion demonstriert. Sie bügelte gerade Wäsche, als der Ruf erscholl: »Guber hat Wirsing und Salat!« Tante Else raste los, das eingeschaltete Bügeleisen blieb stehen. Die Hitze fraß sich durch die Bluse, anschließend durch die dicke Stoffpolsterung des Bügelbretts und dann auch noch durch die Sperrholzplatte. Schließlich fiel es ins Spülbecken, genau unter den ewig tropfenden Wasserhahn, die Sicherungen knallten heraus, die Stromzufuhr war unterbrochen. Die andere Hälfte des Bügelbretts, das zum Teil auf dem Küchentisch, zum Teil auf dem Rand des Beckens aufgelegen hatte, fiel zu Boden und kippte die Schüssel um, in der eine Tischdecke eingeweicht war, das auslaufende Wasser löschte den Schwelbrand, Heim und Herd waren gerettet. Auf der Strecke blieben ein kaputtes Bügeleisen, ein demoliertes Bügelbrett, eine irreparable Bluse und anderthalb Stunden nutzlos vergeudeter Strom.
Am meisten beklagte Onkel Paul die herausgesprungenen Sicherungen. Es waren die beiden letzten! Wir hatten damals noch nicht diese Patentknöpfe, die man einfach wieder hineindrücken kann. Unsere Sicherungen waren fingerlange Porzellanzylinder mit Metallkappen, und wenn das kleine grüne Plättchen fehlte, dann waren sie eben kaputt und mußten durch neue ersetzt werden. Allerdings gab es eine Methode, wie man alte Sicherungen wieder funktionstüchtig machen konnte. Man mußte um das eine Ende einen dünnen Draht wickeln und diesen mit dem anderen Ende irgendwie verbinden. Das war zwar streng verboten, aber was soll man tun, wenn es keinen Ersatz zu kaufen gibt? Im übrigen waren die so präparierten Dinger keine Sicherungen mehr, sondern primitive Zeitbomben, die jeden Augenblick losgehen und das Haus in Brand stecken konnten. Bei uns sind sie allerdings nur ab und zu mal durch die Gegend geflogen!
Wenn man damals etwas vorhatte, beispielsweise einen Besuch bei Freunden oder eine S-Bahn-Fahrt nach Werder, wo man bei den Obstbauern im Tauschverfahren Äpfel oder Pflaumen einhandeln konnte, dann richtete man sich nicht mehr wie früher nach dem Wetter, sondern ausschließlich nach dem Datum. An den ersten beiden Tagen jeder Dekade blieb man zu Hause. Einmal, weil man selbst dauernd irgendwo anstehen mußte, zum zweiten, weil auch alle anderen Schlange standen. Das gehörte ganz einfach zum Alltag; und es gab sogar einsichtsvolle Lehrer, die auf diese Zeiterscheinung
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