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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Glühwein-Ersatz, die gelben wurden als heiße Kunst-Limonade angepriesen und die grünen hießen Waldmeister-Labsal oder so ähnlich.
    Überhaupt waren der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Einer der begabtesten Schöpfer hochtrabender Namen war zweifellos der Besitzer des Restaurants ›Onkel Toms Hütte‹. Mitten im Grunewald gelegen, war es früher ein beliebtes Ausflugsziel gewesen, wurde auch während des Krieges noch häufig frequentiert und fristete jetzt ein kümmerliches Dasein mit Kaffee-Ersatz, Kräutertee, Heißgetränken und sonntäglichem Mittagstisch. An den Wochenenden verirrten sich schon mal Gäste dorthin, die bereit waren, kostbare Marken für ein opulentes Mahl zu opfern. Und die Speisenkarte verhieß erlesene Gaumenfreuden.
    Da gab es als ersten Gang ›Soupe a la Marie Antoinettec. Das war eine simple Mehlsuppe, in der ein paar Graupen schwammen. Die gleiche Suppe ohne Graupen, dafür mit gehacktem Schnittlauch, hieß dann ›Cremesuppe nach Art des Hausesc. Als zweiten Gang gab es meistens Hackbraten in verschiedenen Variationen. Mal als ›Wiener Hackbraten, wenn er in Form von zwei hauchdünnen Scheiben serviert wurde, mal als ›Fricassee a la bergerec, wenn das ganze Zeug aus einer undefinierbaren Masse bestand, oder auch als ›Croquettes de breufc, wenn diese Masse als fingerlanges paniertes Würstchen auf dem Teller lag. Dazu gab es überwiegend Strohkartoffeln, also die sattsam bekannte Trockenauslese, oder auch Kartoffelschaum, wenn man die Dinger gekocht und durch den Fleischwolf gedreht hatte. Als Nachspeise wurde angeboten ›div. Eissorten mit Waldfrüchten‹ (letztere nur, wenn das gesamte Küchenpersonal vorher zum Beerensammeln ausgezogen war), oder feinste Bisquits in Vanillecreme‹. Die Bisquits waren steinharte Kekse aus Roggenmehl, erinnerten in ihrer Bißfestigkeit an
    Hundekuchen und schwammen deshalb in einer kalten Mehlsoße, die mit Süßstoff, Lebensmittelfarbe und Vanillearoma verfeinert wurde. Für die Speiseeisfabrikation gab es ohnehin nur ein Grundrezept: Wasser, Süßstoff, Aroma und Farbe, letztere in fantasievollen Abarten. Einmal habe ich sogar hellblaues Eis gegessen!
    Ohne Marken konnte man auch kunstgewerbliche Artikel kaufen. Unter diesen Sammelbegriff fiel so ziemlich alles, was man nicht essen konnte. Jedes Holzbrett, das mit drei Kirschblüten bemalt war, galt als Kunstgewerbe, und jeder Blumentopf, um den sich eine schmiedeeiserne Spirale wand. Kunstgewerbe waren die kleinen bestickten Käppchen, die man der hohen Geistlichkeit abgeguckt hatte und die jeder modebewußte Backfisch auf dem Hinterkopf trug. Kunstgewerbe waren aufgefädelte und individuell bemalte Holzperlen, als Kette, Armband oder Gürtel zu tragen. Und Kunstgewerbe waren Lampenschirme aus Kunststoff mit Trauerweiden bemalt oder maurischen Festungen. Sonderwünsche wurden vom Künstler berücksichtigt. Omi bestellte sich einen mit Maiglöckchen. Leider war dieser Kunststoff ähnlich spröde wie Glas, und als sie mit dem Schrubberstiel dagegenstieß, brach eine Ecke aus dem Lampenschirm heraus. Mami erbot sich, das Loch in eine künstlerische Form zu bringen, gelb zu umranden und auf diese Weise das Maiglöckchen in eine Osterglocke zu verwandeln, aber Omi wollte davon nichts wissen. Sie verklebte das Loch mit Butterbrotpapier und drehte den Schirm so lange herum, bis man von der defekten Stelle kaum noch etwas sehen konnte. Abends kam sie der Lampe mit dem Hindenburglicht zu nahe, es gab einen lauten Knall, die Herrlichkeit zersplitterte in tausend Einzelteile und fiel brennend zu Boden. Opi kippte geistesgegenwärtig den Inhalt der Blumenvase auf den glimmenden Teppich, die Astern vermischten sich mit dem heißen Kunststoff zu einer klebrigen Masse, das Feuer war gelöscht und Omis Aversion gegen Kunststoffe ein für allemal besiegelt.
    Sie ließ sich auch in späteren Jahren nicht davon abbringen, daß Kunststoffe keineswegs immer lebensgefährlich sein müssen. Ich schenkte ihr einmal ein Servierbrett, weil ihr altes Holztablett nur noch einen Griff hatte und auch sonst schon reichlich lädiert aussah. Omi weigerte sich wochenlang, meine ziemlich kostspielige Gabe zu benutzen. »Wenn mir mal heißer Kaffee auskippt, fliegt das Ding vielleicht auch in die Luft. Du hast es sicher gut gemeint, und ich finde das Tablett ja auch wunderhübsch, aber Holz bleibt Holz!«
    Entsprechend mißtrauisch war sie auch, als Mami ihr zum erstenmal Pulverkaffee mitbrachte. Frances hatte ›dear

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