Pellkartoffeln und Popcorn
nur aus, worauf sie sich heulend in der Toilette verbarrikadierte und erst wieder zum Vorschein kam, nachdem sie die Kriegsbemalung entfernt hatte.
Immerhin fühlte ich mich jetzt schon einigermaßen erwachsen und forderte eine Dauerwelle. Omi war – wie zu erwarten – strikt dagegen, Tante Else war dafür, und Mami gab schließlich auch nach. Sie erinnerte sich wohl noch an ihre eigene Jugendzeit, als sie vergeblich um Befreiung von den langen Zöpfen und um Bewilligung des modischen Bubikopfes gebeten hatte und auf erbitterten Widerstand gestoßen war. Also meldete ich mich beim Friseur an und bekam einen Termin für nächsten Monat. »Und vergiß nicht, die Kohlen mitzubringen!«
Damit war nun nicht etwa das Salär gemeint, sondern die zwei Briketts, die bei einem Friseurbesuch obligatorisch waren. Für eine Dauerwelle brauchte man sogar drei. Ohne Kohlen kein warmes Wasser und erst recht keine Dauerwelle.
Wer sich heute eine Kalt-, Fön- und sonstige Welle machen läßt, ahnt ja gar nicht, welchen Prozeduren man damals unterworfen wurde, um nach frühestens dreieinhalb Stunden leicht angesengt und mit Negerkrause den Friseurstuhl wieder zu verlassen. Hatte man Glück und es gab gerade Strom, bekam man eine elektrische Dauerwelle, der ganze Kopf wurde mit Wicklern, Stanniolpapier und pfundschweren Klammern vollgepackt, von denen Strippen zu einem elektrischen Erhitzer führten. Man sah dann immer wie ein Marsmännchen aus und war fest an seinem Platz gefesselt – was besonders Omi als sehr lästig empfand, weil sie schon immer eine schwache Blase hatte. Waren die so behandelten Haare endlich zu steinharten Röllchen gebrannt, dann wurden sie gewaschen, auf Lockenwickler gedreht und unter dem Fön getrocknet. Drei oder vier Tage lang sah die Frisur noch ganz erträglich aus, aber dann standen die Haare wie Drahtborsten vom Kopf ab und erinnerten an schon lange benutzte Besen.
Dann gab es aber auch noch die ›stromlose Dauerwelle‹, die noch länger dauerte, eine Friseuse sowie zwei Lehrmädchen erforderte, und deren Ergebnis jedesmal ein Zufallsprodukt war. Der Aufbau war der gleiche wie bei der elektrischen Dauerwelle, nur wurden die Wickler jetzt nicht gleichmäßig beheizt, sondern bekamen Metallklammern übergestülpt, die vorher über einem Feuer erhitzt worden waren. Die Lehrmädchen pendelten zwischen Kundin und Feuerstelle, brachten heiße Klammern und holten die erkalteten ab, die dann wieder angewärmt wurden. Die Friseuse registrierte genau, welcher Wickler wie oft befeuert worden war, aber gelegentliche Rechenfehler ließen sich nicht immer vermeiden.
Bei mir mußte wohl auch etwas schiefgegangen sein, denn als ich endlich entwickelt, gewaschen, neu gewickelt und schließlich getrocknet war, hatte ich mitten auf dem Kopf eine Rolle, die dort gar nicht hingehörte und auch nicht vorgesehen war. Der eilends herbeigerufene Ober-Figaro tröstete mich mit der Aussicht, daß die Haare ja bald nachwachsen und das Röllchen dann automatisch tieferrutschen würde.
Am nächsten Morgen johlte die Klasse bei meinem Anblick auch prompt los, und ich war fürs erste von dem Hang nach gewaltsamer Verschönerung kuriert.
Das muß wohl so um dieselbe Zeit gewesen sein, als wir uns plötzlich berufen fühlten, jene Bretter zu betreten, die bekanntlich die Welt bedeuten. Alles fing ganz harmlos an. Der vor Beginn der allgemeinen Evakuierung ausgelagerte schuleigene Bechstein-Flügel wurde wieder ausgegraben und sollte nun restauriert werden. Ein Fachmann besah sich das reichlich lädierte Prunkstück und lieferte einen Kostenvoranschlag. Dieser basierte allerdings auf der üblichen Zigarettenwährung und bewegte sich in schwindelnden Höhen. Staatliche Hilfe war nicht zu erwarten, also beschloß das Lehrerkollegium Eigeninitiative und gab diesen Beschluß an die Schüler weiter.
Wenn heute eine Schulklasse ins Landschulheim ziehen will und Geld braucht, veranstaltet sie einen Basar und spannt die Eltern ein. Mütter dürfen Kuchen spenden, den sie erst backen und dann für teures Geld zurückkaufen müssen. Väter reparieren Spielzeug, das auf dem Flohmarkt verhökert wird. Großmütter durchforsten ihre Bücherschränke und stiften vergilbte Werke längst vergessener Autoren, oft noch in Frakturschrift gedruckt und deshalb von Jüngeren kaum zu entziffern… und wenn alle Vorbereitungen abgeschlossen sind, dürfen sich auch noch sämtliche Familienmitglieder in den Dienst der guten Sache stellen und am Tage
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