Pellkartoffeln und Popcorn
Eintrittsgeldern deckte allenfalls die Kosten für das fehlende dritte Bein des Flügels und vielleicht noch für ein paar Saiten. Der Deckel war aber auch beschädigt, einige Tasten mußten ersetzt werden; und darüber hinaus war das Instrument verstimmt. Wir brauchten also noch mehr Geld.
»Sollen doch die anderen auch mal was tun!« maulte Gerda.
Eine durchaus berechtigte Forderung, denn die übrigen Klassen hatten zwar bereitwillig Eintritt gezahlt und sich zwei Stunden lang auf unsere Kosten amüsiert, aber nun konnten sie gefälligst mal selbst etwas auf die Beine stellen. Zunächst wurde eine Tagung sämtlicher Klassensprecher einberufen. Sie fand während des normalen Unterrichts in der Turnhalle statt, deshalb waren auch alle Geladenen vollzählig erschienen. Irene gab uns später einen anschaulichen Bericht dieser Zusammenkunft, die im wesentlichen darin gipfelte, daß niemandem etwas einfiel. Schließlich wurde die Idee geboren, einen bunten Nachmittag zu veranstalten, wobei es jeder Klasse überlassen bleiben sollte, wie sie auf eine ihr geeignet erscheinende Weise Geld einnehmen könnte. Die Abiturienten planten eine Verlosung und setzten sich selber als Preise aus. Hauptgewinn waren zehn Nachhilfestunden in Französisch.
»Und was machen wir?«
»Auf jeden Fall etwas, womit wir auch Erwachsene ködern können. Welcher Buchhalter interessiert sich schon für kostenlosen Fremdsprachen-Unterricht?«
Gina hatte den rettenden Einfall. »Machen wir doch so eine Art Variete mit humoristischen Einlagen. Keine akrobatischen Kunststücke oder so was, lieber ein richtiges Blödelprogramm.«
Die Großveranstaltung sollte auf dem Schulhof stattfinden, also brauchten wir als wichtigstes Requisit ein Zelt. Das wollte Annemarie besorgen. Ihr Vater arbeitete als Hilfspfleger bei der amerikanischen Sanitätseinheit und würde mit einiger Wahrscheinlichkeit ein kleines Rote-Kreuz-Zelt organisieren können. Die Amerikaner zeigten sich in solchen Fällen immer sehr entgegenkommend. Wir bekamen auch tatsächlich eins und verdeckten später die für unseren Zweck etwas unpassenden rot-weißen Embleme mit handgemalten Schildern, die »das Haus der 1000 Überraschungen« anpriesen. Als die Dinger endlich klebten, stellte Quasi fest, daß wir ›Überraschungen‹ nur mit einem R geschrieben hatten!
Das Programm eröffnete Evchen als Moritatensängerin. Sie erschien, in einem bodenlangen Rüschenkleid aus großmütterlichen Beständen, trug einen einmalig schönen, zerbeulten Kapotthut und ein Lorgnon. Der Fransenschirm diente als Zeigestock, mit dem sie auf die einzelnen Bildchen wies, auf denen wir die fürchterliche Mordgeschichte mit sehr viel rotem Blut illustriert hatten.
Dann erschien Irene als indische Schlangentänzerin. Ihr Kostüm hatten wir aus Überbleibseln längst vergangener Faschingsfeiern zusammengestellt. Zu einer rosa Satinhose, die den Nabel freiließ, trug sie ein giftgrünes Bolerojäckchen, ein halbes Dutzend Glasperlenketten und auf dem Kopf etwas Schleierartiges. Die Schlangen bestanden aus fünf aneinandergenähten Strümpfen, die wir mit Holzwolle ausgestopft hatten. Zu Sigruns quälender Blockflötenmusik schlängelte sich Irene um die Zeltpfosten herum, vollführte krampfartige Windungen, die einen Bauchtanz darstellen sollten und an eine Nierenkolik erinnerten, und dabei mußte sie auch noch ihre unelastische Schlange festhalten. Trotzdem gab es einen Riesenapplaus.
Sowie sie ihren Auftritt beendet hatte, stand schon jemand mit einem Eimer bereit, um ihr die kohlenschwarzen Augenränder und die braune Wasserfarbe aus dem Gesicht zu waschen, denn in der übernächsten Nummer mußte sie noch einmal als Minnesänger vor das Publikum, um die gar traurige Geschichte von Ritter Ewald und seiner Ida vorzutragen. Während einer Vorstellung war plötzlich die selbstgebastelte Leier verschwunden, Irene griff sich aus lauter Verzweiflung eine stilwidrige Gitarre und untermalte ihren Minnegesang mit nicht ganz klangreinen Akkorden.
Vorher kam aber noch unsere Zaubernummer dran. Gerda hatte sich als mittelalterlicher Hexenmeister mit Mamis seidenem Morgenmantel herausstaffiert (den späteren Krach, als sie den zentimeterlangen Riß im Ärmel entdeckte, hatte ich vorher allerdings nicht einkalkuliert) und einem langen spitzen Hut, der früher eine Schultüte gewesen war. Ich mimte den Gehilfen, trug ein zusammengestoppeltes Fantasiekostüm und einen Turban, der zu groß war und mir dauernd über die
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