Pells Stern
seltsames Gefühl der Nacktheit. Er fragte sich, ob die Passanten wohl wussten, wer er war.
Die Vorstellung machte ihm Angst.
Sie werden sich an manche Sachen erinnern,
hatten die Ärzte ihm gesagt, als sie die Tabletten absetzten.
Aber Sie können Abstand dazu gewinnen.
An
manche
Sachen erinnern...
Damon kam zurück und brachte zwei Becher mit, setzte sich und bot ihm einen an. Es handelte sich um Fruchtsaft oder etwas in der Art mit Eis und Zucker, und es beruhigte den Magen. »Du wirst zu spät zurückkommen«, erinnerte er ihn.
Damon zuckte die Achseln, sagte aber nichts.
»Ich möchte...« - zu seiner stark empfundenen Scham stotterte er - »...gerne dich und Elene zum Abendessen einladen. Ich habe jetzt meine Arbeit und etwas Kredit über meine Stundenzahl hinaus.«
Damon bedachte ihn für einen Moment mit einem forschenden Blick. »In Ordnung. Ich werde Elene fragen.«
Sofort fühlte sich Josh ein gutes Stück besser. »Ich würde gerne«, fuhr er fort, »von hier aus nach Hause gehen. Allein.«
»In Ordnung.«
»Ich musste wissen...
wie
meine Erinnerungen zu bewerten sind. Ich entschuldige mich dafür.«
»Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte Damon, und das berührte ihn tief.
»Trotzdem gehe ich jetzt allein.«
»An welchem Abend sollen wir kommen?«
»Entscheide du das mit Elene. Mein Plan ist ziemlich offen.«
Armseliger Humor. Damon lächelte pflichtbewusst darüber und trank seinen Becher aus. Auch Josh nippte seinen letzten Schluck und stand auf. »Danke.«
»Ich spreche mit Elene. Morgen teile ich dir den Termin mit. Bleib entspannt und ruf mich an, wenn du mich brauchst.«
Josh nickte, drehte sich um und ging, verschwand zwischen den Menschenmassen, die - vielleicht - sein Gesicht kannten. Massen, wie die in seiner Erinnerung auf den Docks. Aber trotzdem war es hier nicht dasselbe. Hier ging er durch eine andere Welt, durch seinen eigenen Teil des Korridors wie dessen neu aufgefundener Besitzer... ging zusammen mit den Pellgeborenen zum Aufzug und wartete zusammen mit ihnen auf den Lift, als sei er einer von ihnen.
Der Lift traf ein. »Grün Sieben.« Er sprach für sich selbst, als der Druck innen ihn von der Schalttafel wegdrängte und jemand anderes - freundlicherweise für ihn drückte. Die Menschen im Lift standen Schulter an Schulter. Mit ihm war alles klar. Der Lift trug ihn schnell hinunter auf sein Stockwerk. Mit Entschuldigungen bahnte er sich den Weg an Passagieren vorbei, die ihn keines zweiten Blickes würdigten, stand in seinem eigenen Korridor in der Nähe des Hospizes.
»Talley«, sagte jemand und überraschte ihn damit völlig. Er sah nach rechts und erblickte uniformierte Sicherheitsposten. Einer nickte ihm freundlich zu. Sein Puls beschleunigte und wurde wieder ruhiger. Das Gesicht war ihm entfernt vertraut. »Wohnen Sie jetzt hier?« fragte ihn der Posten.
»Ja«, sagte er und fügte als Entschuldigung hinzu: »Ich erinnere mich nicht so gut... an vorher. Vielleicht waren Sie dabei, als ich ankam.«
»War ich«, sagte der Posten. »Schön zu sehen, dass Sie alles gut überstanden haben.«
Er schien es ehrlich zu meinen. »Danke«, sagte Josh und ging seines Weges, die Posten ebenso. Die Dunkelheit, die herangerückt war, zog sich wieder zurück.
Er hatte sie alle für Träume gehalten.
Aber ich träume es nicht,
dachte er.
Es ist geschehen.
Er ging am Eingangsschalter des Hospizes vorbei hinein und den Flur drinnen hinab zu Nummer 18. Er benutzte seine Karte. Die Tür glitt zur Seite, und er betrat seine Zuflucht, einen kahlen, fensterlosen Raum... ein seltenes Privileg, nach dem zu urteilen, was man im Video über die Überbevölkerung allerorten hörte. Noch etwas, was Damon arrangiert hatte.
Normalerweise hätte er jetzt den Video eingeschaltet und dessen Ton dazu benutzt, das Zimmer mit Stimmen zu füllen, denn sonst erfüllten Träume das Schweigen.
Aber diesmal setzte er sich auf das Bett und saß dort einfach eine Zeitlang in der Stille, tastete forschend an den Träumen und Erinnerungen wie an halb verheilten Wunden.
Norway.
Signy Mallory.
Mallory.
3.4. Pell: Dock Weiß; Büros der Lukas Gesellschaft; 18:30 Uhr; 06:30 Uhr Wechseltag / Wechseldämmerung
Es kam zu keinen Unglücksfällen. Jon blieb in seinem Büro, dem hintersten aller Büros, nahm die normalen Anrufe entgegen und arbeitete an seiner Routine von Lagerhausberichten und aufzeichnungen, versuchte dabei, in einer bedrängten Ecke seines Bewusstseins zu entwerfen, was zu tun war,
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