Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
keinem. So
was gibt es bei uns nicht. Man kriegt hier nicht aus Altersgründen oder zur
Belohnung einen besseren Posten. Es kann höchstens mal vorkommen, dass jemand
aus Inkompetenz nach oben befördert wird, damit er aus der Schusslinie der
Bürgernähe verschwindet. Du magst dich über diesen polizeilichen Auftrag gern
lustig machen, aber wir Belgier nehmen ihn sehr ernst.«
Ich erfahre, dass sich ein belgischer Polizeiinspektor nach sechs
Jahren Dienst selbst um eine Beförderung bewerben kann. Nach einer
Aufnahmeprüfung und einem achtmonatigen Unterricht ist er Hauptinspektor.
Besondere Verdienste sind dafür nicht erforderlich, die werden auf seinem Personalbogen
erwähnt.
Jeder hat also die gleiche Chance, und es liegt an ihm, ob er sie
nutzen will. Eigentlich ganz fair, denke ich, aber da wir uns allmählich
Marcels Haus nähern, möchte ich keine freundliche Bemerkung äußern.
»So hübsch wie das malerische Kronenburg sieht euer Sankt Vith aber
bei Weitem nicht aus«, sage ich, als wir die Hauptstraße mit ihren nicht sehr
phantasievollen Neubauten entlangfahren. Am abwechslungsreichsten finde ich
noch das verschiedenfarbige Straßenpflaster.
»Fahr am Rand an«, beordert mich Marcel auf Eifelerisch an den
Bordstein.
»War nicht bös gemeint«, murmele ich, beuge mich aber der Autorität
der Polizistenstimme. Wenn er die letzten Meter zu Fuß gehen möchte, bitte
schön. Dann wird es vor der Haustür zu keiner Übernachtungsdiskussion kommen.
Die mich ohnehin nicht umstimmen könnte. Wunder gibt es, einem Schlager
zufolge, zwar immer wieder, aber ich glaube kaum, dass wir in unserer
momentanen Stimmung den Zauber der vergangenen Nacht noch einmal heraufbeschwören
können.
Aber nicht nur deswegen möchte ich heute Nacht unbedingt nach Hause
fahren. Ich habe mir vorgenommen, morgen in aller Herrgottsfrühe im Burghaus
Kronenburg aufzutauchen und Gaby von Krump-Kellenhusen aufzulauern. Ich habe noch längst nicht alles von ihr, was ich brauche,
was immer Marcel mit dem Spruch vorhin gemeint haben könnte. Und nachdem diese
Dame angeblich alles von mir weiß, möchte sie mich vielleicht ja auch live und
in Farbe kennenlernen. Für eine derartige Konfrontation muss ich ausgeschlafen
sein und vor allem gut aussehen. Und außerdem kann ich nicht erwarten, dass
sich Gudrun andauernd um Linus kümmert.
»Bitte steig auch aus«, fordert mich Marcel auf, als der Wagen am
Straßenrand zum Stehen kommt.
»Warum?«
»Ich möchte dir etwas zeigen.«
Kaum stehe ich neben ihm, greift er nach meiner Hand, als wären wir
die besten aller Freunde. Mit der anderen Hand deutet er nach vorn auf ein von
Efeu überwuchertes hohes rundes Bauwerk.
»Siehst du diesen Turm, Katja? Der stammt aus dem 14. Jahrhundert.«
»Wie sicherlich so manches in dieser Gegend«, gebe ich nicht
sonderlich beeindruckt zurück und verkneife mir den Hinweis auf die vielen historischen
Bauten Berlins.
»Nicht in Sankt Vith. Nur der Büchelturm, ein früherer Pulverturm,
hat die Ardennenoffensive, die übrigens auch hier begonnen hat, einigermaßen
unbeschädigt überstanden«, erwidert Marcel leise. »An Weihnachten 1944 fielen
so viele Bomben auf Sankt Vith, dass ansonsten kein Stein mehr auf dem anderen
blieb. Alles lag in Schutt und Asche, und es gab viele Tote. Nach dem Krieg
fehlte das Geld, für die Stadt wieder im alten Stil aufzubauen. Deshalb sieht
sie bei Weitem nicht so malerisch aus wie Kronenburg,
das von Bombenangriffen verschont geblieben ist. Tut mir leid, Katja.«
»Wieder wir Deutschen«, flüstere ich schuldbewusst zurück.
»Ja«, sagt Marcel, »auch wenn die Alliierten die Bomben geworfen
haben. Weil Hitler uns vier Jahre zuvor heim ins Reich geführt hat.«
»Habt ihr denn früher auch schon mal zu Deutschland gehört?«, frage
ich überrascht.
»Zu Preußen«, antwortet Marcel, »davor zum Herzogtum Luxemburg, und
noch früher waren wir Österreicher. Aber mehr als hundert Jahre lang machten
wir einen Teil der Preußischen Rheinprovinz aus. Das hat der Wiener Kongress
damals entschieden. Was die Bevölkerung wollte, war wie immer kein Thema. Preußisch-Sibirien
nannte man unser Gebiet, und uns hielt man für rückständige Einödbauern, auf
die man keine Rücksicht nehmen musste. Belgier wurden wir erst Mitte der
Zwanzigerjahre.«
»Bis Hitler kam«, murmele ich.
»Und uns nahm. Mehr als nur die Würde. Mein Großvater …«
»… der Viehhändler?«
»… wurde von der deutschen Wehrmacht eingezogen. Was
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