Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
ihm nach Kriegsende
als Verbrechen gegen den belgischen Staat angelastet wurde. Er war zweimal im
Gefängnis. Erst, weil er sich geweigert hat, eine Wehrmachtsuniform anzuziehen,
und dann, weil er sie getragen hat.«
Marcel sieht mich von der Seite an und setzt leise hinzu: »Leicht
ist es für uns Deutschsprachige in Belgien immer noch nicht. Manche Wallonen
nennen uns sales boches – dreckige Deutsche, und
unser Gebiet cantons périmés – zurückgebliebene
Kantone. Und es gibt sogar Belgier, die keine Ahnung haben, dass innerhalb
ihrer Landesgrenzen eine deutschsprachige Minderheit lebt. Was meinst du, wie
oft ich in der Wallonie oder Flandern meinen Ausweis herzeigen muss, um zu
beweisen, dass ich kein Deutscher bin.«
Bedrückt betrachte ich das Wahrzeichen der kleinen Stadt Sankt Vith,
auf dessen Spitze der Oktoberwind heftig am Stadtbanner zerrt, das, wie mir
Marcel erklärt, den luxemburgischen Löwen zeigt.
Kriegswunden, das hatte ich schon gleich nach meiner Ankunft in der Eifel
erfahren, sind hier noch allerorten sichtbar, an Menschen, Gebäuden und in der
Landschaft. Ich erschauere.
»Hast du kalt?«, fragt der Belgier besorgt.
Ich schlinge meinen freien Arm um Marcel, drücke ihn an mich und
gebe ihm einen Schmatz auf die Wange.
»Wiedergutmachungskuss, Katja?« Er legt seine Arme um mich, soweit
es eben geht. »Das kannst du doch viel besser!«
Im Nachtschatten des Sankt Vither Wahrzeichens zeige ich ihm, wie
recht er hat. Und wie gern ich das Schnabulieren unter einem Dach in der Nähe
fortsetzen würde. Aber daraus wird nichts.
»Von hier aus gehe ich zu Fuß«, sagt Marcel, als wir uns voneinander
lösen. »Du wolltest doch eh gleich wieder zurück auf die Kehr.«
»Na ja«, flüstere ich zögernd, nur allzu bereit, ihn vor seine
Haustür zu fahren, mit ihm auszusteigen und im eichenen Inneren seines
Nachkriegshauses abzutauchen.
»Ist schon in Ordnung«, versichert Marcel, als hätte ich ihn
zurückgewiesen, »ich muss morgen sehr früh raus. Und habe einen besonders
anstrengenden Tag vor mir. Guten Heimritt, meine Katja.«
Er küsst mich hart auf die Lippen.
»Keine Dummheiten! Versprochen?«
Ich murmele irgendetwas und komme mir sehr einsam vor, als ich in
mein Auto steige.
Sehr früh am nächsten Morgen
Ist es eine Dummheit, Gaby von Krump-Kellenhusen in
Kronenburg aufzusuchen? Unsinn, es steht jedem frei, im Burghaus zu
frühstücken. Und wenn sie mich erkennt, haut sie wieder ab, überlege ich,
während ich Linus seine Brocken hinstelle.
Ich kann mich ja auch zivilisiert bei ihr anmelden. Also greife ich
zum Telefon. Das Herz klopft mir bis zum Hals, als mir eine freundliche
weibliche Stimme einen »Guten Morgen« wünscht.
»Hier Klein. Bitte verbinden Sie mich mit Frau von
Krump-Kellenhusen.«
»Einen Augenblick, Frau Klein.«
Mit wackligen Knien setze ich mich auf den breiten Eichenholzhocker
in meinem belgischen Flur.
»Ja?«, haucht eine verschlafene Stimme.
»Guten Morgen, Frau von Krump-Kellenhusen. Ich bin Katja Klein und
möchte Ihnen mein Beileid aussprechen …«
Kurze Pause.
»Danke, gleichfalls.« Leichte Schärfe schwingt in der immer noch
sanften Stimme mit. »Ich weiß, wer Sie sind. Was wollen Sie?«
»Mit Ihnen sprechen.«
»Ich aber nicht mit Ihnen. Guten T…«
»Ich soll Sie von Ihrer Freundin Cora grüßen«, sage ich hastig,
bevor sie auflegen kann.
»Wie bitte?«
»Cora«, sage ich eindringlich.
Die Pause ist so lang, dass ich schon befürchte, die Verbindung sei
abgebrochen. Schließlich kommt ein Geräusch, einem Seufzer nicht unähnlich, und
die gehauchte Frage: »Was ist mit Cora?«
»Ich weiß, wo sie ist«, lüge ich.
»Tatsächlich?«
»Kein Zweifel.«
»Und was wissen Sie noch?«
»Fast alles«, sage ich. »Und das hat relativ wenig mit Ihrem
verstorbenen Mann und den verschwundenen Stiftungsgeldern zu tun.«
»Das wissen Sie also auch?«
»Ich sagte Ihnen ja, dass ich fast alles weiß.«
Keine Ahnung, wie ich aus dieser Nummer herauskommen soll, wenn sie
mir gegenübersteht. Irgendetwas wird mir schon einfallen.
»Nur das Warum, das weiß ich nicht«, setze ich hinzu, weil mir kein
anderer Grund mehr einfällt, sie zu treffen. Sie geht prompt darauf ein.
»Und weil Sie das Warum auch wissen wollen, weil Sie gar nicht genug
wissen können, wecken Sie mich in aller Frühe und gehen mir auf die Nerven?«,
bemerkt sie melodisch. Eindrucksvoll, wie diese Frau selbst in ihrer Empörung
die Contenance wahrt.
»Ich dachte,
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